Abschied von Franz Leitner

Trauerrede, gehalten von Ernest Kaltenegger

Ein Vorbild an Menschlichkeit, Mut und Geradlinigkeit

Trauerrede bei der Verabschiedung von Franz Leitner, gehalten von KPÖ-Klubobmann Ernest Kaltenegger am 27. 10. 05

Liebe Elfi,
liebe Familienangehörige des Verstorbenen,
werte Trauergemeinde!

Das Lied der Lieder aus der Mauthausen-Kantate von Mikis Theodorakis, welches wir eben gehört haben, gehört zu den berührendsten Denkmälern über das Leid, die Qualen aber auch über die Hoffnung in den Vernichtungslagern der Nazis. Es ist gewidmet den hunderttausenden Opfern des braunen Terrors.

In Zeiten, wo die Unmenschlichkeit zum todbringenden Gesetz erhoben wurde, brauchte es schon großen Mut, trotzdem Mensch zu bleiben. Franz Leitner hatte diesen.

Geboren am 12. Februar 1918 in Wiener Neustadt, wuchs er im Arbeiterviertel „Flugfeld“ auf. Der Vater war Werkzeugdreher, die Mutter Hausfrau. Franz hatte noch einen Bruder, der später in Stalingrad vermisst wurde.

Nach der Volks- und Hauptschule besuchte Franz vier Jahre die Staatsgewerbeschule, höhere Abteilung für Maschinenbau, in Wiener Neustadt, die er 1936 mit der Matura abschloss.

Empört über soziale Ungerechtigkeit fasst er sehr früh den Entschluss, sich damit nicht einfach abzufinden oder sich gar zum Wohle der eigenen Karriere anzupassen. Franz schloss sich dem damals illegalen Kommunistischen Jugendverband an. Auf Flugblättern und in persönlichen Gesprächen mit anderen jungen Menschen prangerte man das Unrechtssystem des Austrofaschismus an. 1936 wurde er erstmals verhaftet und zu vier Monaten Kerker verurteilt. Für die gleichen Aktivitäten bekam er auch noch eine 15monatige Polizeistrafe, die er zum Teil im Anhaltelager Wöllersdorf absaß.

Nachdem Österreich bereits von den deutschen Nazifaschisten besetzt war, arbeitete er ab Mitte Mai 1938 bei Oldenburg in der Flugzeugfabrik „Weser-Flug“, einem Kriegsbetrieb. Nach nur einem Monat wurde er als politisch unzuverlässig entlassen.

Im November 1938 wurde Franz zum Reicharbeitsdienst eingezogen. Anschließend kehrte er nach Wiener Neustadt zurück und arbeitete in einem Aufzugbetrieb in Wien.

Am 1. September 1939 begann mit dem Überfall Deutschlands auf Polen der 2. Weltkrieg. Am selben Tag wurde Franz Leitner mit noch 14 Wiener Neustädtern verhaftet und einige Tage später mit einigen hundert Häftlingen aus Wien in das KZ Buchenwald bei Weimar eingeliefert.

Was dann folgte war die Hölle, die eigentlich die menschliche Vorstellungskraft sprengt, und doch von Menschen erdacht und auch von Menschen zu einer solchen gemacht wurde. In diesem Lager wurden selbst Kinder nicht verschont, sondern waren zur Vernichtung vorgesehen.

Der Häftling Franz Leitner wurde als so genannter Blockältester auf Block 8, dem Kinderblock, eingesetzt. In dieser Situation hat er dann wahre menschliche Größe bewiesen. Das eigene Leben riskierend hat er gemeinsam mit einigen seiner Kameraden dazu beigetragen, dass hunderte Kinder – darunter viele jüdische – das Grauen überleben konnten. Die verdiente Würdigung für diese Großtat erfuhr Franz Leitner als er im Jahr 1999 von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem den Ehrentitel „Gerechter unter den Völkern“ erhielt, die höchste Auszeichnung, die Israel an mutige Menschen während der Zeit des Holocaust vergibt. Auch heute bei dieser Verabschiedung beweist die Israelitische Kultusgemeinde Graz durch die Anwesenheit von Frau Hannah Seitz, dass die Tat von Franz Leitner unvergessen bleibt.

2001 wurde der Menschenrechtspreis des Landes Steiermark ebenfalls an Franz Leitner verliehen.

Franz Leitner beteiligte sich im April 1945 – zwei Tage vor dem Eintreffen der amerikanischen Truppen – an der Selbstbefreiung der Häftlinge des Lagers Buchenwald.

Ende Mai 1945 kam er wieder in Wiener Neustadt an und wurde dort sehr bald Bezirkssekretär der KPÖ. Ende 1946 wurde er Vizebürgermeister und ab 1950 Stadtrat von Wiener Neustadt. 1953 folgte er dem Ruf der Partei und übersiedelte mit seiner Frau nach Graz.

Zuerst wurde er Landessekretär und 1958 Landesobmann der steirischen KPÖ.

Von 1961 bis 1970 gehörte er als Abgeordneter dem steiermärkischen Landtag an. In dieser Funktion war er stets ein konsequenter Vertreter der Interessen der arbeitenden Menschen und der sozial Schwachen. Als solcher wird er auch den Mitgliedern der neuen KPÖ-Landtagsfraktion, deren Angelobung vor zwei Tagen leider nicht mehr erleben konnte, stets ein Vorbild bleiben.

Ich erinnere mich noch sehr gut an unser letztes Gespräch vor wenigen Monaten, als er – bereits gezeichnet von seiner schweren Krankheit - sich große Hoffnungen auf einen Wiedereinzug der KPÖ in den steiermärkischen Landtag machte.

Franz Leitner blieb – so lange er konnte – politisch aktiv. Ob als Landesobmann des Zentralverbandes der Pensionisten oder als Mitglied des Präsidiums des Bundesverbandes der ehemaligen österreichischen Widerstandskämpfer und Opfer des Faschismus – immer war er bereit, sich maximal einzusetzen.

So lange er konnte, gab er sein Wissen als Zeitzeuge auch an junge Menschen weiter. „Unsere schwere Vergangenheit darf niemals die Zukunft unserer Kinder und Kindeskinder werden!“ war sein Lebensmotto.

Für Franz Leitner gilt, was der Dichter Bertold Brecht einmal auf den Punkt brachte als er schrieb:

Die Schwachen kämpfen nicht. Die Stärkeren
Kämpfen vielleicht eine Stunde lang.
Die noch stärker sind, kämpfen viele Jahre. Aber
Die Stärksten kämpfen ihr Leben lang. Diese
Sind unentbehrlich.
Franz Leitner gehörte zu den Unentbehrlichen.

Der Verlust trifft natürlich nicht nur die KPÖ uns alle seine Freunde, sondern im besonderen Maße die Familie. Mit seiner Frau Elfi – mit der er seit 1949 verheiratet war - hatte Franz eine innige Beziehung. Gemeinsam bewältigte man alle Schwierigkeiten und konnte sich immer aufeinander verlassen. Groß war auch die Freude über den gemeinsamen Sohn, dem Franz auch immer ein guter Vater war. Sowohl seiner Frau Elfi als auch dem Sohn gilt heute unser besonderes Mitgefühl. Wir alle, die Franz Leitner kannten, wissen um den schweren Verlust, den die Familie erlitten hat.

Nun ist die Zeit des endgültigen Abschieds gekommen. Ein guter Ehemann, Vater und Großvater, Nachbar, Freund und Genosse ist für immer von uns gegangen.

Wir möchten Dir, lieber Franz, für alles danken, was Du für uns getan hast. Auch, wenn Du gestorben bist – Dein Vorbild an Menschlichkeit, Mut und Geradlinigkeit wird bleiben.

28. Oktober 2005