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Contra oder pro Proporz?

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Bei Gemeinderatswahlen entscheiden die Bürger und Bürgerinnen nicht nur, wer ins Stadtparlament einzieht, sondern auch, wen sie in der Regierung haben wollen. Die KPÖ haben sie in Graz zur zweitstärksten Partei gemacht. Pia Schmikl

Seit 1998 ist die KPÖ in der Grazer Stadtregierung vertreten und konnte dabei viel Positives bewirken. Ein Kommentar von  Hanno Wisiak

Bei den letzten Gemeinderatswahlen 2017 wurde die Kommunistische Partei zweitstärkste Kraft und erreichte 25.645 Stimmen (20,34 Prozent), zehn Mandate im Gemeinderat – und zwei Sitze im Stadtsenat. Damit stellt sie neben drei ÖVPler, einem Freiheitlichen und einer Grünen zwei Mitglieder der Stadtregierung. Begründet liegt das in einem Verfassungsgesetz, das vorsieht, dass Parteien ab einer gewissen Stärke eben automatisch in Gemeindevorstände einziehen. NEOs und ÖVP ist das nicht so recht.

„...gerade bei entscheidenden Themen wie Verkehr oder Gesundheit werden vor allem die KPÖ-Vertreter schnell zu 'nicht amtsführenden Stadträten', wie man bei Schwarz-Blau gerne einmal scherzt.“ Dieser Satz war unter dem Titel „Proporz blockiert die Politik“ in der WOCHE Graz zu lesen. Die „Scherze“ von ÖVP und FPÖ brauchen gar nicht weiter kommentiert zu werden, weil die Grazerinnen und Grazer sich eh selbst ein Bild von der Arbeit der KPÖ machen. Dennoch besteht Klärungsbedarf in Sachen Proporz.

  1. Zur Begriffserklärung: Dass nicht nur im Gemeinderat, sondern auch in der Stadtregierung die Sitze entsprechend dem demokratischen Wahlergebnis errechnet werden, hat nichts mit dem – zu Recht – ungeliebten Proporz zu tun, bei dem jeder Schulwart-Posten nach Parteibuch vergeben wurde. Und gerade diese Form des Proporzes, also der Postenschachers würde bei reinen Mehrheitsregierungen noch schlimmer werden, als er in Graz von ÖVP und FPÖ ohnehin schon praktiziert wird.
     
  2. Dass auch Parteien, die nicht Teil einer Koalition auch in Regierungsverantwortung sind, hat einen – ganz entscheidenden – Vorteil: Sie müssen beweisen, dass sie nicht nur reden, sondern auch arbeiten können.
    Die KPÖ hat nach Jahrzehnten der Vernachlässigung durch SPÖ und ÖVP den Gemeindebau in Graz komplett modernisiert: keine WCs mehr am Gang, ein Bad in jeder Wohnung, umfassende Sanierungen,… Wie es dort ausgesehen hat, bevor die KPÖ als Oppositionspartei in die Regierung gekommen ist, will sich heute niemand mehr vorstellen.
    Jetzt ist die Stadt Graz durch den oppositionellen KPÖ-Stadtrat Robert Krotzer Vorreiterin bei der Pflege zuhause (www.graz.at/kliententarifmodell) und die oppositionelle KPÖ-Stadträtin Elke Kahr hat in ihrer Amtszeit etwa die Innenstadt-Entflechtung der Straßenbahn und viele Spielstraßen initiiert und vielleicht am Ende mehr Kilometer Geh- und Radwege auf den Weg gebracht, als die Grüne Lisa Rücker und der freiheitliche Mario Eustacchio zusammen – und die waren beide Teil einer Koalition mit Siegfried Nagl.
     
  3. Die im Artikel postulierte „Blockade“ ist mehr Behauptung denn Argument. Eine Koalition hat ja eo ipso eine Mehrheit im Gemeinderat – und die entscheidet. Da tut es nichts zur Sache, ob auch die Parteien, die nicht Teil der Koalition sind, Stadtsenatsmitglieder stellen. Die Blockade stimmt insofern, als dass die Koalition Vorschläge der der nicht-koalitionären Regierungsmitglieder blockieren kann – letztes Beispiel: autofreier Lendplatz.

25. September 2020