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Die Volksbefragung und die Juristerei

Erste rechtliche Überlegungen zur Ablehnung einer Volksbefragung über das Murkraftwerk

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Der ablehnende Bescheid gründet sich offenbar im Wesentlichen auf zwei VfGH-Entscheidungen: Einmal betreffend eine Volksbefragung über die Errichtung von Windkraftanlagen im Jahr 2012, die andere betreffend einer Volksbefragung in Graz zur Verlängerung der Straßenbahnlinie 6 in Graz.

Dazu folgende Überlegungen:

  1. Die Rechtsmeinung des VfGH ist nicht unabänderlich! Es ist durchaus nicht selten, dass sich die Meinung des VfGH von Zeit zu Zeit ändert! Diese eine(!) Entscheidung von 2012 sagt tatsächlich, dass es nicht reicht, dass die abgefragte Angelegenheit in den Wirkungsbereich der Gemeinde fällt, sondern auch genau dargelegt werden muss, inwiefern sie dort hinein fällt. Aufgrund dieses einen Falles kann aber keinesfalls von „ständiger Rechtssprechung“ gesprochen werden! Man muss bedenken, dass es sich nur um einen einzigen Fall gehandelt hat, nicht das Steiermärkische Volksrechtegesetz, sondern niederösterreichisches anzuwenden war (die Volksrechtegesetze sind alle unterschiedlich!) und die Befragung nicht von BürgerInnen ausging, sondern der Gemeinde selbst.
     
  2. Die Auslegung eines Urteils und die Übertragung auf einen gänzlich anderen Fall ist schwierig und schlussendlich immer subjektiv gefärbt. Wesentlich ist letztendlich nur, wie im konkreten Fall letztinstanzlich entschieden wird.
     
  3. Die zweite VfGH-Entscheidung, mit der die Ablehnung begründet wird, betrifft die Verlängerung der Linie 6 in Graz 2006. Hier wurde vom GR gefragt „Treten Sie dafür ein, dass die von der Stadt Graz geplante Verlängerung der Linie 6, die in dieser Form nicht zur Lösung der bestehenden Verkehrsprobleme beiträgt, nicht zur Ausführung gelangt?“ Natürlich war diese Frage manipulativ und verfälschend. Das hat der VfGH auch so festgestellt. Eine Analogie zur jetzigen Befragung ist nicht erkennbar und nicht nachvollziehbar.
     
  4. Beispiele für Fragestellungen in vergangenen Volksbefragungen:
    In Oberösterreich wurde 2000 zum Beispiel ganz allgemein gefragt: „Soll in Linz ein neues Musiktheater gebaut werden?“
    In Salzburg 2005: "Soll sich das Land Salzburg dafür einsetzen, dass die Olympischen Winterspiele im Jahr 2014 in Salzburg stattfinden?"
    Diese Fragen waren zulässig.
     
  5. Die Formulierung im Steiermärkischen Volksrechtegesetz, „Volksbefragungen dienen der Erforschung des Willens der Gemeindebürger hinsichtlich künftiger, die Gemeinde betreffende politische Entscheidungen und Planungen sowie Fragen der Vollziehung aus dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde.“ ist unglücklich und unklar. Eine solche Formulierung findet sich, in keinem anderen Volksrechtegesetz in Österreich. Sie wirft eine Reihe von Fragen auf:
    Was bitte sollen künftige Planungen sein? Und um wessen Planungen und Entscheidungen geht es hier eigentlich? Reicht die Baubewilligung einer Behörde oder die Entscheidung im UVP-Verfahren? Oder müssen es Planungen und Entscheidungen der Stadtregierung sein? Oder des Gemeinderates? Und wie soll man eine Volksbefragung machen bevor überhaupt Planungen stattgefunden haben?? Und bezieht sich „künftig“ auch auf „Fragen der Vollziehung“?
    Über diese Formulierung, die seit 1986 unverändert im Gesetz steht (es gibt leider keine Erläuterungen), hat der VfGH noch nie entschieden. Es wäre interessant, wie er diese Formulierung auslegt.

 

Mag.a Karin Reimelt ist Juristin und stellvertretende Bezirksvorsteherin in Graz-Andritz.

19. Oktober 2016