Georg Fuchs (u.a.) über Graz nach 03 (Malmoe)
Nach dem Ausverkauf?
Was bleibt vom Trubel um eine europäische Kulturhauptstadt? Malmoe hat KünstlerInnen und PolitikerInnen aus Graz zu ihren Erfahrungen mit dem Projekt Graz03 befragt.
1) Welche Veränderungen sind in der Stadt durch "Graz03, Kulturhauptstadt Europas" für Sie/dich spürbar?
Eva Ursprung (Künstlerin und Musikerin sowie Gründerin der
ersten feministischen Kunstzeitschrift europas [eva und co]):
Die große Leere nach dem Ausverkauf. Positiv: Anita Hofer bekam
aufgrund ihres Local-Task-Projekts einen Kunstpreis.
Reini Urbach (Architekt, Filmkritiker):
Eigentlich nur, dass einige Ausländer jetzt nicht nur Sturm Graz
kennen, sondern auch das Friendly Alien und die Mursurfer.
Zweiteres war von Graz03 unabhängig und fand äußerst positives Echo
in Schottland, England, USA, NL. Auch der Kala-Shakra Film von
Werner Herzog hatte für meine ausländischen Kollegen größere
Auswirkungen als die 03-Maschinerie. Wir wurden also ein bisschen
in rechts-radikale Sekteneck gestellt. (Da der liebe Dalai Lama
sich noch immer nicht vom rechten Dreck abputzen konnte). Sonst war
noch am einflussreichsten die Obdachlosen-WM.
Christian Buchmann (Kulturstadtrat, ÖVP):
Graz hat in 3 Punkten vom Kulturhauptstadtprojekt profitiert: 1. In
einer enormen Kraftanstrengung von Bund, Land und Stadt ist es
gelungen, Finanzmittel nach Graz zu holen, die
Infrastrukturprojekte ermöglicht haben, die zum Teil bereits seit
30 Jahren diskutiert worden sind. Wir haben nun eine Stadthalle,
ein Kunsthaus, ein Literaturhaus, ein Kindermuseum, die Murinsel
.... (Investitionsschub). 2. Das Bewusstsein, dass Graz eine
Kulturstadt ist, mit einer außerordentlich vielseitigen Szene, hat
sich bei den Grazerinnen und Grazern nachhaltig verankert!
(Identitätsgewinn). Und 3. ist "Graz back on the Map" -
wir müssen seit 2003 niemandem mehr erklären, wo Graz liegt!
(Imagegewinn).
Georg Fuchs (Gemeinderat der KPÖ):
Durch die mit dem Kulturhauptstadtjahr in Zusammenhang stehenden
Großprojekte haben sich die finanziellen Rahmenbedingungen der
Stadt drastisch verschlechtert. Es gibt keinen Spielraum mehr, der
eine positive, gestaltende Politik zulässt, dafür beschränkt sich
die Kreativität aufs Sparen.
2) Was ist tatsächlich übrig geblieben von Graz03, was hat sich erhalten?
Eva Ursprung:
Wir haben jetzt ein Kunsthaus für sehr elitäre, etablierte, schöne
Kunst. Die Strukturen für die lokale Szene haben sich aus
Geldmangel eher verschlechtert. Murinsel und Uhrturmschatten wurden
posthum verschandelt, KünstlerInnen verarscht.
Reini Urbach:
Die Architektur bleibt, die (Mur-)Welle ist weg. Das rechte Murufer
wurde weiter aufgewertet, positiv zum abends fortgehen und Leute
treffen. Die Kulturmanagerbranche hat sich verjüngt.
Christian Buchmann:
Abgesehen von der Infrastruktur, die ich oben schon aufgezählt
habe, ist auch das Bedürfnis nach kultureller Qualität geblieben -
der Druck auf die und von den Kulturschaffenden, mit ihren
Produktionen überregional zu wirken, sorgt für eine enorem
Qualitätssteigerung, von der alle profitieren!
Georg Fuchs:
Geblieben sind die großen, für Graz teilweise überdimensionierten
Veranstaltungsorte, deren langfristige Finanzierung die Lage der
Stadt noch schwieriger erscheinen lässt. das Kunsthaus und die
Murinsel konkurrieren bereits als touristisches Fotomotiv mit dem
Uhrturm. Bleiben wird auch ein über die Grenzen Österreichs hinaus
ein gestiegener Bekanntheitsgrad der Stadt. Dass sich die
Mentalität der GrazerInnen durch das Kulturhauptstadtjahr verändert
hat (Stichwort: mehr Offenheit, mehr Liberalität), ist aber reines
Wunschdenken.
3) Wie schätzen Sie/schätzt du die Lage jener Personen ein, die bei Graz03 beschäftigt waren? Hat sich deren Perspektive verbessert oderverschlechtert?
Eva Ursprung:
Man hört eigentlich nichts mehr von ihnen. Sind die jetzt alle
arbeitslos?
Reini Urbach:
Eher verbessert. Die diversen halb-kritischen Überprüfungen
(Vergabepraxis, Budget ... ) im Landtag hatten jedenfalls keine
Auswirkungen in der Presse. Es wird immer auf Zeitnotstand berufen,
aber wenig Zeit zur Planung war wohl wirklich nicht da. Die
eigentlich verantwortlichen Politiker in diversen Vergabefarcen
sind ja nicht gestolpert. Die Kunsthaus-Architekten (6 Monate
Verzug durch diverse Planungsmängel) kann man schwer anklagen.
Warum sollte man die Kulturmanager opfern, die ihre Sache ja
hervorragend gemacht haben.
Christian Buchmann:
Die Zuständigkleit für das Personal der 2003-Gmbh fällt nicht in
mein Ressort - dennoch beobachte ich die Szene natürlich und habe
den Eindruck, dass eigentlich alle sehr davon profitieren,
Stichwort: Werbeagentur bsx, die gerade in Wien wieder einen großen
Auftrag an Land gezogen hat. Linz ist 2009 Kulturhauptstadt, ich
höre, dass auch von dort bereits Knowhow aus Graz angefragt
wird.
Georg Fuchs:
Einige der Beschäftigten haben ihre neu gewonnen Erfahrungen
genützt, um in den bereichen Kulturmanagement und -marketing Fuß zu
fassen. Andere sind jetzt arbeitslos oder arbeiten in völlig
anderen Bereichen. Dass viele Menschen ein Jahr lang einen
interessanten Arbeitsplatz hatten, stufe ich als positiven
Nebeneffekt des Kulturhauptstadtjahres ein.
Einen langfristigen positiven Beschäftigungseffekt sehe ich aber
nicht - eher das Gegenteil: der ziellosen Geldverschwendung im Jahr
2003 werden durch die Streichung von Subventionen in den nächsten
Jahren noch einige Sozial- und Kulturinitiativen zum Opfer fallen,
was auch viele Betroffene direkt in die Arbeitslosigkeit befördern
wird.
Fragen: Elke Murlasits
(aus malmoe, 1/05)
Veröffentlicht: 30. Juni 2009