»Wir können den Wert des Friedens gar nicht hoch genug einschätzen«

Bei der Gedenkveranstaltung, die anlässlich des Tages der Menschenrechte vom Militärkommando Steiermark organisiert wurde und an die Opfer des Massakers in der ehemaligen SS-Kaserne Wetzelsdorf erinnerte, hielt KPÖ-Stadtrat Robert Krotzer in Vertretung von Bürgermeisterin Elke Kahr eine Rede, die für viel Aufmerksamkeit sorgte.

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Ein Gedenkstein erinnert an die Opfer des Massakers in der ehemaligen SS-Kaserne in Graz-Wetzelsdorf. (Foto: KPÖ)

Sehr geehrte Damen und Herren!

Es ist mir eine große Ehre hier in Vertretung der Bürgermeisterin der Stadt Graz, Elke Kahr, sprechen zu dürfen. Zunächst bedanke ich mich ganz herzlich für die Organisation und für die Durchführung dieses Gedenkens bei allen Verantwortlichen.
 

„Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“

Ich bin froh, dass wir in einer Zeit leben dürfen, in der sich die Republik Österreich ihrer Verantwortung und ihrer Vergangenheit stellt und sich offen mit den Nachwirkungen des NS-Terrorregimes sowie mit dessen Opfern auseinandersetzt. Dieses Bemühen darf keine Pflichtübung sein, der wir uns einmal im Jahr stellen müssen. Vielmehr stellt es einen wichtigen Schritt in unserem Willen dar, die Schreckensherrschaft der NS-Faschismus gründlich aufzuarbeiten. Die Losung „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“ leitet sich daraus ab, sie steht im Zentrum unseres Geschichtsverständnisses. Ebenso wie das Bekenntnis zur verfassungsmäßig verankerten, immerwährenden Neutralität unseres Landes, die gerade heute ein wichtiger Beitrag zu einer so dringend notwendigen neuen Friedensarchitektur sein kann.

Wir können den Wert des Friedens gar nicht hoch genug einschätzen. Wie glücklich können wir uns schätzen, dass wir uns die Schrecken des Krieges in unserer Heimat nicht annähernd vorstellen können. Raketenbeschuss in Wohnvierteln, Schüsse in den Straßen, zerschossene Häuser oder gar solch barbarische Befehle, wie sie hier am Kasernengelände in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges ausgeführt wurden.
All das können wir uns nicht vorstellen. Möge es immer so bleiben.
 

„Stadt der Menschenrechte“ bedeutet Verantwortung

Der Tag der Menschenrechte ist für Graz von großer Bedeutung. Eng verknüpft mit der Geschichte unserer Stadt Graz ist der unheilvolle Titel als „Stadt der Volkserhebung“, in der noch früher als im restlichen Österreich einst die Hakenkreuzfahnen gehisst worden waren. Heute jedoch darf sich Graz als eine von wenigen Städten weltweit „Stadt der Menschenrechte“ nennen – damit geht große Verantwortung einher sowie die Verpflichtung, die Menschenwürde in all ihren Facetten hochzuhalten.

Menschenwürde. Die Würde eines jeden Menschen also, von dir und mir. Diese Würde wurde vom NS-Regime millionenfach mit Füßen getreten. Und diese Verbrechen fanden nicht in abstrakten, fremden Orten dieser Welt statt, sondern auch hier in Graz, gerade hier am Standort der einstigen SS-Kaserne in Graz-Wetzelsdorf. Genau hier wurden über 200 jüdische Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene der alliierten Armeen sowie Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer in den letzten Kriegstagen erschossen und von der SS verscharrt.

Und doch sind diese Verbrechen nur ein kleines Mosaikstein im großen Netz des Terrors. Millionen Tote und die halbe Welt in Schutt und Asche, das war das Resultat von 12 Jahren Nazi-Herrschaft. Die Befreiung vom Faschismus, das Ende des Zweiten Weltkriegs und der Massenmorde liegen nun beinahe ein ganzes Menschenleben zurück. Dennoch sind die Spuren dieser Zeit noch immer zu finden in unserer Stadt. Die Wunden, die das NS-Regime gerissen hat, sind nach wie vor nur oberflächlich verheilt. Sie manifestieren sich in all den sichtbaren und unsichtbaren Ruhestätten der Opfer, ihrer Angehörigen und ihrer Nachfahren, die die Erinnerung an den Schrecken in sich tragen und auch an nachfolgende Generationen weitergeben.
 

Aufgabe der Politik ist es, Solidarität zu fördern

Aber auch autoritäre Denkmuster, das Schüren von Feinbildern und das Aufstacheln von Menschen gegeneinander, Rassismus und Antisemitismus, ob aus Überzeugung oder aus Kalkül: Diese Muster sind längst nicht überwunden. Unterschiedliche Spielformen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit finden sich bis heute in unserer Gesellschaft, keineswegs nur an ihren vermeintlichen Rändern. Sie sind nicht zuletzt Ausdruck einer Gesellschaft, die von steigenden Zukunftsängsten, sozialen Nöten und von der wachsenden Kluft zwischen Oben und Unten geprägt ist – und sie werden mitunter bestärkt, um Privilegien sowie gesellschaftliche Ungleichheiten zu verteidigen.

Krisen scheinen mittlerweile zum Dauerzustand unserer Gesellschaft geworden zu sein: Pandemie, Kriege, Teuerung, Klimaerwärmung. Jede dieser Krise hat für unzählige Menschen soziale, psychische und ökonomische Folgen, führt zu Verunsicherungen und Ängsten. Steigt die Ohnmacht gegenüber den herrschenden Verhältnissen, können auch autoritäre Ideen und die Suche nach Sündenböcken wachsen und gedeihen.

Graz als „Stadt der Menschenrechte“ ist demgegenüber bemüht, ein gutes Zusammenleben aller Bewohnerinnen und Bewohner zu ermöglichen. Unsere Antwort darauf ist die Förderung und Stärkung gesellschaftlicher Solidarität sowie die umfassende Teilhabe und Mitsprache aller Menschen im politischen, kulturellen und auch wirtschaftlichen Leben – ganz im Sinne der Deklaration der Menschenrechte. Die Befähigung und (Selbst-)Ermächtigung von Menschen zu Akteuren ihrer eigenen Geschicke und ihrer eigenen Geschichte ist der Weg, den wir Schritt um Schritt stärken wollen.

Aufgabe der Politik ist es dabei, Solidarität zu fördern, Diskriminierungen jedweder Art entgegenzutreten, niemanden auszugrenzen, offen auf die Menschen zuzugehen, ihre Sorgen, Ängste, Nöte und Bedürfnisse ernst zu nehmen sowie alles dafür zu tun, dass kein Mensch einen anderen Menschen erniedrigt. Dieser Aufgabe wollen wir gemeinsam mit allen hier lebenden Menschen gerecht werden – am Internationalen Tag der Menschenrechte und an jedem weiteren Tag im Jahr.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und alles Gute für Sie!

13. Dezember 2022