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„Ein Spielraum, den man nützen kann“

Betrachtungen über Graz, die KPÖ und das „Minenfeld der Widersprüche“ von Franz Stephan Parteder

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Klubobfrau Christine Braunersreuther und Gemeinderätin Sahar Mohsenzada gratulieren Elke Kahr zur Angelobung als Bürgermeisterin.

Der Sender BBC ist bekannt für seine ironischen Fernsehserien. Eine davon hieß „Yes Prime Minister“ und zeigte das Schicksal eines idealistischen Politikers, der seine guten Ideen nicht verwirklichen konnte, weil sie von der Bürokratie ganz subtil sabotiert wurde. Was die Fernsehzuschauer damals zum Lachen brachte, kann in der Realität zu einer traurigen Tatsache werden.

Es gibt sehr viele Beispiele dafür, wie fortschrittliche Bewegungen vor Wahlen mit populären Forderungen wie die Tiger brüllten, aber nach dem Eintritt in die Regierung zu Bettvorlegern für die Herrschenden wurden – und die großen Erwartungen der Bevölkerung enttäuschten.

Es ist noch nicht sehr lange her, dass die griechische Linkspartei Syriza zur Hoffnungsträgerin für viele Menschen in Europa wurde. Angetreten mit dem Anspruch, den von der EU mitverantworteten Sozialabbau in ihrem Heimatland zu stoppen und entschiedene Maßnahmen im Interesse der arbeitenden Menschen durchzusetzen, gewann diese Partei die Parlamentswahl und kam an die Regierung. Sie ließ sogar eine Volksabstimmung gegen das Diktat der EU-Troika durchführen – und musste trotzdem am Ende klein beigeben. Viele Hoffnungen in Griechenland und darüber hinaus wurden damit zerstört.

Was hat das alles mit Graz zu tun? – Hoffentlich wenig.
 

Kein Minenfeld

Einige Medien gehen zwar davon aus, dass die KPÖ mit Elke Kahr als Bürgermeisterin sich auf ähnliche Weise wie viele fortschrittliche Bewegungen schließlich und endlich fügen und angebliche Sachzwänge verinnerlichen werde. So sieht Ernst Sittinger in der Kleinen Zeitung vom 18. Oktober Elke Kahr „im Minenfeld der Widersprüche“, weil sich die KPÖ nicht von ihrer kritischen Haltung verabschiedet hat und die gegenwärtige Ordnung der Dinge eben nicht als den Endzustand der Gesellschaft betrachtet. Er hofft, dass die „Konfrontation mit der Wirklichkeit“ in der rot-grün-roten Koalition zur Anpassung an ungerechte Verhältnisse führen würde.

Dabei wird aber übersehen, dass zwei Umstände anders sind als bei den oben angeführten negativen Beispielen. Die Verwaltung einer Stadt – selbst wenn sie so groß ist wie Graz – ist etwas anderes als die Regierung eines Staates. Wie es bei der Angelobung durch den Landeshauptmann ausdrücklich heißt, muss die neue Rathauskoalition alle Gesetze und Verordnungen des Bundes und des Landes umsetzen.

Sie hat in ihrem eigenen Wirkungsbereich aber einen Spielraum für mehr soziale, ökologische und demokratiepolitische Akzente. Das ist nicht wenig. Aber es ist noch ein weiter Weg, bis es auf Bundes- und Landesebene zu einem grundlegenden Umdenken kommt. Der Wahlerfolg in Graz und die Bildung einer Koalition aus KPÖ, Grünen und SPÖ gibt aber Hoffnung darauf, dass sich auch dort etwas ändern kann.
 

Blick von unten

Der zweite Punkt ist mindestens gleich wichtig. Elke Kahr und die KPÖ haben keine leichtfertigen Wahlversprechen abgegeben. Sie haben aber versprochen, die Probleme der Menschen ernst zu nehmen und in ihrer Arbeit im Rathaus aufzugreifen. Dieser Blick von unten auf viele Probleme kann zu positiven Veränderungen führen. Elke Kahr hat das in ihrer Antrittsrede als Bürgermeisterin angesprochen: „Ohne zu wissen, wie die Mehrheit der Bevölkerung Tag für Tag lebt, ohne dass wir mit vielen Schicksalen mitfühlen, ohne Empathie wird es nicht gehen.“ Deshalb hält sie nach wie vor ihre Sprechstunden ab und hilft Menschen, die oft nicht mehr aus und ein wissen.
 

Ohne sie geht nichts

Zurück zur Fernsehserie der BBC. Sie zeichnet ein Bild der Beamtenschaft, das mit der Realität in Graz wenig zu tun. Hat. Elke Kahr: „Die Bediensteten im Magistrat und im Haus Graz sorgen dafür, dass unsere Stadt funktioniert. Ohne sie geht nichts. Die städtischen Bediensteten schaffen Stabilität. In den Jahren als Stadträtin habe ich immer das Gespräch mit ihnen gesucht und ich werde jetzt dafür sorgen, dass wir ihnen seitens der Politik die Wertschätzung entgegenbringen, die ihnen gebührt.“

Deshalb stehen die Chancen dafür nicht schlecht, dass Elke Kahr und die Grazer KPÖ auch die Herausforderung positiv bewältigen werden, die zweitgrößte Stadt Österreichs auf eine neue Art hauptverantwortlich zu verwalten. Die Kleine Zeitung hat berichtet, dass irgendwo Wetten darauf abgeschlossen werden, dass dieses „Experiment“ eine Dauer von höchstens zwei Jahren haben werde. Diese Wahrsager könnten sich täuschen.

Franz Stephan Parteder

19. Dezember 2021