Für Frieden und Freiheit – in Palästina, Israel und überall

Rede von Simon Gostentschnigg auf der KPÖ-Friedenskundgebung in Graz

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Liebe Grazerinnen und Grazer,
liebe Freundinnen und Freunde,

es ist sehr schön, dass wir heute so viele sind. Viele Menschen, die gemeinsam ihre Stimmen für ein Ende der Gewalt und der Unterdrückung, für Völkerfreundschaft und internationale Solidarität erheben – im Nahen Osten und überall auf der Welt.

Das ist in diesen Tagen wichtiger denn je. Die Ereignisse in Israel und Palästina machen sprachlos, und doch ist es wichtig, nicht zu schweigen. Was sich am 7. Oktober ereignet hat, ist in seiner Grausamkeit kaum begreiflich. Ein terroristisches Massaker der Hamas. Ein Massenmord, der mehr als 1.200 Menschen das Leben gekostet hat. Rund 250 Menschen wurden als Geiseln genommen und verschleppt.

Hinter diesen Zahlen verbergen sich Menschen. An zwei von ihren möchte ich heute stellvertretend erinnern:

Eines der Opfer war Vivian Silver. Sie hat die Frauen-Friedensbewegung „Women Wage Peace“ mitgegründet und sich jahrzehntelang mit zahllosen Projekten für den Austausch und das friedliche, gleichberechtigte Zusammenleben von Israelis und Palästinenser:innen eingesetzt. Am 4. Oktober hat sie eine Friedensdemonstration in Jerusalem mitorganisiert, an der sich 1.500 israelische und palästinensische Frauen beteiligt haben. Drei Tage später wurde sie in ihrem Haus im Kibbutz Be'eri ermordet.  

Ein weiteres Opfer des Massakers war Hayim Katsman. Er hat in den USA seinen PhD gemacht und war Friedensaktivist. Seine Doktorarbeit war Ausdruck seiner Friedensarbeit und hat sich mit „allen Lebensformen zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer“ beschäftigt. Am 7. Oktober hat er in seinem Kibbutz Holit mehreren Menschen das Leben gerettet, als er seine Nachbarin mit seinem Körper vor den Kugeln geschützt und ihr so ermöglicht hat, zwei kleine Kinder zu retten. Hayim Katsman wurde nur 32 Jahre alt.

Bei seinem Begräbnis hat sein Bruder Noy bemerkenswerte Worte gefunden und einen Appell an die israelische Regierung gerichtet: „Benutzt unseren Tod und unseren Schmerz nicht, um den Tod und den Schmerz anderer Menschen und anderer Familien herbeizuführen. Ich habe keinen Zweifel daran, dass sich Hayim selbst im Angesicht der Hamas-Leute, die ihn ermordet haben, gegen das Töten und die Gewalt an unschuldigen Menschen aussprechen würde.“

Es war ein Appell, der leider wirkungslos geblieben ist.

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So hat der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant bereits am 9. Oktober erklärt, dass – Zitat – „wir gegen menschliche Tiere kämpfen und entsprechend handeln“.  Damit gemeint hat er die gesamte palästinensische Bevölkerung im Gazastreifen – 2,3 Millionen Menschen, davon fast die Hälfte Kinder und Jugendliche. Tags darauf hat sich Generalmajor Ghassan Alian mit folgender Botschaft direkt an die Bewohner:innen des Gazastreifens gewandt – Zitat: „Menschliche Tiere müssen als solche behandelt werden. Es wird keinen Strom und kein Wasser geben, es wird nur Zerstörung geben. Ihr wolltet die Hölle, ihr werdet die Hölle bekommen“. Am selben Tag räumte der Sprecher der israelischen Armee, Daniel Hagari, ein, dass die unerbittliche israelische Bombenkampagne im Gazastreifen mutwillig und absichtlich zerstörerisch ist: „Der Schwerpunkt liegt auf dem Schaden und nicht auf der Genauigkeit.“

Die Folgen dieser Kollektivbestrafung der Palästinenser:innen beschreibt Volker Türk, UNO-Hochkommissar für Menschenrechte, wie folgt: „Das Ausmaß der Not ist unvorstellbar; die Situation ist ein Albtraum. Mehr als 11.100 Menschen wurden getötet, darunter mehr als 4.600 Kinder. Mehr als 26.000 Menschen sind verletzt worden, viele von ihnen schwer. Krankenhäuser, Schulen, Wohnhäuser und die Märkte und Bäckereien, die eine Lebensader darstellen, wurden ebenfalls von israelischen Luftangriffen getroffen. Eine ganze Bevölkerung ist zutiefst traumatisiert.“ – Zitat Ende.

Es ist unmöglich, das Ausmaß der Zerstörung, des Leids und der humanitären Katastrophe im Gazastreifen auch nur annähernd in Worte zu fassen. 

Ich kann an dieser Stelle nur ein einziges der zehntausenden Opfer beim Namen nennen: Ahmed Abu Artema. Er ist ein palästinensischer Dichter, Autor und Friedensaktivist. Seine Worte haben 2018 zehntausende Menschen dazu inspiriert, freitags unbewaffnet in die Nähe des Zauns zu marschieren, der das Freiluftgefängnis namens Gaza umgibt, um ihr Recht auf Rückkehr in das Land einzufordern, aus dem sie vertrieben worden waren. Der Große Marsch der Rückkehr, wie er genannt wurde, dauerte mehr als eineinhalb Jahre an.

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Am 24. Oktober hat die israelische Luftwaffe das Haus von Ahmed Abu Artema im Flüchtlingscamp Tel al-Sultan – im vermeintlich sicheren Süden des Gazastreifens – bombardiert. Ahmed wurde schwer verletzt und erlitt Verbrennungen zweiten Grades. Sein Sohn und seine Schwester befinden sich in einem kritischen Zustand. Zwei seiner Brüder, seine Schwiegermutter und sein 13-jähriger Sohn Abdullah wurden getötet. Über ihn schreibt Ahmed aus dem Krankenhaus: „Ich weiß, wie viel Unschuld, Liebe, Freundlichkeit und Großzügigkeit in seinem Herzen steckt und wie sehr seine Seele vor Neugierde auf Abenteuer, Entdeckungen und Innovationen strotzt. Oft kam er ganz aufgeregt zu mir, weil er etwas erfunden hatte, und erklärte mir, wie es funktionierte. Seine lebhaften und intelligenten Fragen brachten mich dazu, innezuhalten und mich zu wundern, dass ich nie auf die Idee gekommen war, was auch immer es war. Abdullah hatte so viel Potenzial, das er nie ausschöpfen wird können. Er war mein Begleiter. Und ich seiner.“

Das Haus der Familie von Ahmed Abu Artema eines von vielen, das von der israelischen Luftwaffe bombardiert wurde. Fast die Hälfte aller Häuser im Gazastreifen ist zerstört oder beschädigt. Kein Ort ist sicher vor den israelischen Bomben. Es fehlt an allem. 21 der 35 Krankenhäuser im Gazastreifen mussten ihren Betrieb bereits einstellen. Teilweise werden sie vom israelischen Militär belagert, teilweise gibt es als Folge der vollständigen Blockade, die Israel seit dem 7. Oktober über den Gazastreifen verhängt hat, keinen Treibstoff mehr für die Stromgeneratoren. Intensivstationen werden zu Leichenhallen. Dort, wo es noch möglich ist, muss ohne Schmerzmittel operiert werden. Babys kämpfen in Brutkästen, denen der Strom ausgeht, ums Überleben.

Im Angesicht dieses Horrors sollten wir uns eine Frage vor allen anderen stellen: Wie können wir diesem Grauen ein Ende setzen und was kann Österreich dazu beitragen? Leider scheint diese Frage die allermeisten Medien und die allermeisten Politiker:innen aber nicht zu interessieren – schon gar nicht der österreichischen Bundesregierung. Anstatt auf dem Boden der verfassungsmäßig verankerten Neutralität zu diplomatischen Lösungsansätzen beizutragen, hat die Bundesregierung in diesem Krieg einseitig Partei ergriffen. Kein Regierungsmitglied, keine Nationalratspartei traut sich, auch die gravierenden Kriegsverbrechen und Völkerrechtsverstöße Israels als solche zu benennen und zu verurteilen. 

Erst kürzlich hat Österreich in der UNO-Generalversammlung als einer von nur 14 Staaten weltweit gegen eine Resolution gestimmt, die eine sofortige humanitäre Waffenruhe und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe in den Gazastreifen gefordert hat. Das ist beschämend und ich hoffe, ich spreche für alle von uns, wenn ich sage: Nicht in unserem Namen – Waffenstillstand jetzt!

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Der Weg zu einem gerechten Frieden in Israel und Palästina ist heute vielleicht länger als jemals zuvor, aber es führt kein Weg daran vorbei, ihn zu gehen. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, ich hätte die Lösung für diesen jahrzehntelangen Konflikt parat. In zwei Punkten bin ich mir aber sicher:

Unmittelbar braucht es einen humanitären Waffenstillstand und die sofortige Freilassung der hunderten Geiseln, die sich noch in der Gewalt der Hamas befinden, um das entsetzliche Blutvergießen endlich zu stoppen. 

Und mittel- und langfristig kann es Frieden nur dann geben, wenn Existenzrecht, Freiheit und Selbstbestimmung Israelis und Palästinenser:innen gleichberechtigt garantiert werden.

Das heißt im Klartext: Es muss endlich Schluss sein mit der 56-jährigen Besatzung der palästinensischen Gebiete und der 16-jährigen Blockade des Gazastreifens. Es muss endlich Schluss sein mit dem Landraub und der völkerrechtlich illegalen Siedlungspolitik Israels im Westjordanland und in Ost-Jerusalem! Es muss endlich Schluss sein mit der systematischen und institutionalisierten Kontrolle, den rechtswidrigen Tötungen, den Zwangsumsiedlungen, den drastischen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und der Verweigerung der Nationalität und der Staatsbürgerschaft für Palästinenser:innen durch Israel!

Nur so kann es gelingen, radikalislamistischen Organisationen wie der Hamas den Nährboden zu entziehen und aus der endlosen Spirale der Gewalt, des Terrorismus und der Vergeltung auszubrechen. Es braucht endlich eine echte Perspektive auf ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit für die Palästinenser:innen. Das ist die Grundvoraussetzung für einen gerechten und dauerhaften Frieden, den sich viele Menschen auf beiden Seiten der grünen Linie so sehnlich wünschen. 

Allen Widrigkeiten zum Trotz geben wir unsere Hoffnung nicht auf, dass ein brüder- und schwesterliches, ein solidarisches Miteinander aller Menschen möglich ist. Wir lassen uns nicht entlang national-religiöser Linien auseinanderdividieren und gegeneinander aufhetzen. Wir stellen uns gegen jede Form des Antisemitismus, des antimuslimischen Rassismus und des religiösen Fundamentalismus. Wir stehen auf für Völkerfreundschaft und internationale Solidarität.

Für den Frieden und die Freiheit – in Israel und Palästina und überall sonst auf der Welt!

Veranstaltungstipp: Der Weg zu Frieden in Palästina und Israel – Aida Touman-Suleiman zu Gast in Graz!

25-04-24 Auf Ein­la­dung der KPÖ und der jü­disch-ara­bi­schen Frie­dens­in­i­tia­ti­ve „Stan­ding To­ge­ther Vi­en­na“ be­sucht die is­rae­li­sche Knes­set-Ab­ge­ord­ne­te Ai­da To­u­man-Su­lei­man am Mon­tag, dem 29. April, Graz, um über ein so­for­ti­ges En­de des Krie­ges in Ga­za, die Frei­las­sung al­ler Gei­seln und ei­nen Weg zu…

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Veröffentlicht: 23. November 2023