Im Parlament: LINKER WIDERSTAND - "ROTE HILFE" - ARBEITERWIDERSTAND
WIDERSTANDSTAGUNG: DIE STIMMEN DER WISSENSCHAFT (2) Referate von Garscha,
Wien (PK) - Das Symposion "Widerstand in Österreich 1938 -
1945" wurde mit Referaten von Winfried Garscha, Prof. Jonny
Moser und Augustin Malle fortgesetzt.
GARSCHA: LINKER WIDERSTAND - "ROTE HILFE" -
ARBEITERWIDERSTAND
Winfried R. Garscha vom Dokumentationsarchiv des
österreichischen Widerstandes setzte sich vorerst mit den Begriffen
"Arbeiterwiderstand" und "Linker Widerstand"
auseinander und meinte, "Arbeiterwiderstand" bezeichne
eine soziale Kategorie, die ihre organisatorische Verfestigung in
den Betriebsgruppen der bis in die ersten Jahren des NS-Regimes
hinein aktiven "Sozialistischen Arbeiterhilfe", vor allem
aber der kommunistisch geführten "Roten Hilfe" erfuhr.
Diese Form des Widerstands entstand vielfach spontan, als Reaktion
auf die Verhaftung von Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben
und Dienststellen.
"Linker" Widerstand hingegen bezeichne eine politische
Kategorie: das Fortführen der politischen und organisatorischen
Traditionen der Arbeiterbewegung, wobei die österreichische
Spezifik u.a. darin bestehe, dass sich das Kräfteverhältnis
zwischen der einst übermächtigen sozialdemokratischen und der eher
winzigen kommunistischen Bewegung umkehrte. Die KPÖ, die bereits
1934 bis 1938 organisatorisch mit den Revolutionären Sozialisten,
der illegalen Nachfolgeorganisation der Sozialdemokratischen
Arbeiterpartei Österreichs, gleichgezogen hatte, sei zwischen 1938
und 1945 die weitaus stärkste Kraft im linken Lager gewesen. Auch
der größte Teil jener sozialistisch gesinnten Arbeiter, die nach
der Stilllegung der RS politisch weiter aktiv bleiben wollten,
schloss sich der KPÖ an. Viele unter ihnen kehrten allerdings nach
der Wiederbegründung der SPÖ 1945 zur Sozialdemokratie
zurück.
Angehörige illegaler Widerstandsgruppen hatten ein Höchstmaß an
Vorsicht bei Gesprächen mit Arbeitskolleg/innen an den Tag zu
legen, bei der Gewinnung neuer Mitglieder musste stets die
Möglichkeit einkalkuliert werden, dass der oder die Neue ein
Spitzel der Gestapo sein könnte. Eine in den illegalen Gruppen
diskutierte - und von den Sozialisten völlig abgelehnte - Variante,
dennoch mit breiteren Schichten der Bevölkerung in Kontakt zu
kommen und das politische Monopol des Regimes in Frage stellen,
waren konspirativ verbreitete Flugblätter. Jedes Flugblatt musste
auf einer Maschine, die nicht einfach zu verstecken war,
vervielfältigt werden, und das auf Papier, das rationiert war, es
musste unbemerkt zwischengelagert und schließlich so unter die
Leute gebracht werden, dass zwar die Person, die es verbreitete,
unbemerkt blieb, sein Inhalt aber registriert wurde, bevor die
Person, die das Flugblatt fand, es erschrocken fallen ließ.
"Linker" Widerstand habe dem aus katholisch-konservativer
oder habsburgisch-legitimistischer Gesinnung heraus geleisteten
Widerstand eine wichtige Erfahrung voraus gehabt, sagte Garscha
weiter: vier Jahre Widerstand gegen den austrofaschistischen
Ständestaat. Doch die Gestapo war nicht die Polizei des
Ständestaats, obwohl viele Polizisten nach 1938 weiterbeschäftigt
wurden und unter der neuen Herrschaft zeigten, wozu sie fähig
waren. Die RS-Führung zog daraus die bereits erwähnte Konsequenz
der Stilllegung der Organisation. Doch die Organisation war von
zentraler Bedeutung gewesen für die politische Identität, das
sozialdemokratische Milieu sei geprägt gewesen von der
Organisation, sogar noch in der Zeit der Illegalität seit dem
Februar 1934. Wo die Organisation wegfällt, "zerbrösle"
letztlich das Milieu - zuallererst bei den Jungen, denen die
Sozialisation in den sozialdemokratischen Jugendorganisationen
fehlte, die die Generation der vor 1920 Geborenen geprägt hatte.
Durch die Einberufungen zur Wehrmacht ab Kriegsbeginn wurden auch
noch die verbliebenen informellen Strukturen unter den jüngeren
Jahrgängen weitgehend zunichte gemacht. Trotzdem lebten
sozialdemokratische Organisationsformen und sozialdemokratisches
Politikverständnis auch unter den Bedingungen der NS-Diktatur fort,
wenngleich fast ausschließlich in nur lose zusammenhängenden
Kleinstgruppen, die sich zu Freizeitaktivitäten trafen die jedem
Gestapo-Spitzel als harmlos erscheinen mussten. Erwähnt wurde von
Garscha auch die erfolgreiche Fluchthilfe für jüdische Funktionäre
unmittelbar nach dem 11. März 1938.
Zentrales Anliegen der illegalen KPÖ war die Propagierung und
organisatorische Vorbereitung des nationalen Befreiungskampfes
gegen die hitlerdeutsche Fremdherrschaft. Dazu wurden Kontakte zu
anderen Widerstandsgruppen und Einzelpersonen gesucht, ab 1943 -
als überparteilich konzipierte - Organisationen unter dem Namen
"Österreichische Freiheitsfront" gegründet. Kommunistisch
inspirierte Partisanengruppen umfassten meist nur wenige Personen,
sie entstanden zuerst in der Steiermark und Kärnten, später auch im
Salzkammergut. Die Versorgung dieser Gruppen gehörte fortan zu den
wichtigsten Aufgaben der Parteiorganisationen, wobei sich
insbesondere Frauen große Verdienste erwarben.
Das fatale Dilemma der kommunistischen Organisationen war laut
Garscha, dass die Instruktionen von außen nur über wenige Relais-
Stellen nach Österreich gelangen konnten - die wichtigsten waren
Zagreb, Bratislava und Zürich - und von diesen seien zwei, nämlich
Zagreb und Bratislava, von der Gestapo mit Konfidenten durchsetzt
gewesen, sodass jeder ins Land geschickte Kurier, ohne es zu
wissen, den Polizeispitzeln den Weg in die Organisationen wies.
Dass die Organisationen trotzdem nicht vollkommen aufgerieben
werden konnten, zeuge von der Wirksamkeit der konspirativen
Schutzmechanismen. Auch diese wurden übrigens zentral an die
Organisationen weiter gegeben. Dort, wo kommunistische
Organisationen auf sich allein gestellt aufgebaut wurden, d.h. dort
wo die Anleitung fehlte, war - wie Beispiele aus Niederösterreich
zeigen - die Wahrscheinlichkeit groß, dass Organisationsstrukturen
aus der Zeit vor 1938 weitergeführt wurden. Dort, wo im
sozialdemokratischen Bereich Widerstand nicht nur lokal
organisiert, sondern überregional vernetzt wurde, waren
sozialistische Widerstandskämpfer denselben Gefährdungen ausgesetzt
wie die KPÖ-Gruppen.
Neben der kommunistischen und sozialistischen, durch zentrale
Funktionäre gelenkten Organisationstätigkeit entstanden
Widerstandsgruppen aber auch spontan, wobei in den meisten Fällen
Kontakt zu bestehenden Organisationen und Leitungen gesucht wurde.
Ausgangspunkt dieser Organisationstätigkeit von unten waren in
vielen Fällen Verhaftungen von Kolleginnen und Kollegen, nicht
selten aber auch Willkürmaßnahmen der Betriebsleitung. Diese so
genannten Betriebsgruppen sammelten in erster Linie
Unterstützungsgelder und führten so die seit den zwanziger Jahren
von der seitens der Kommunistischen Parteien aufgebauten
internationalen Solidaritätsorganisation "Rote Hilfe"
unter veränderten Bedingungen fort. Von den NS-Behörden wurde jede
derartige Unterstützungsleistung als Vorbereitung zum
kommunistischen Hochverrat mit drakonischen Strafen verfolgt.
Wirklich erfolgreich waren derartige lokale Organisationen meistens
dort, wo in Form von Industriedörfern oder Arbeitersiedlungen eine
kompakte, manchmal über Jahrzehnte gewachsene proletarische
Subkultur bestand, in der die Angehörigen derartiger
Widerstandsgruppen relativ sicher vor Denunziationen sein konnten.
Die Verfolgung der Organisierung von Unterstützungsleistungen durch
die "Rote Hilfe" stieß bei vielen Arbeiterinnen und
Arbeitern auf großes Unverständnis und führte den illegalen Gruppen
erst recht Sympathisanten zu, was den NS-Behörden nicht
gleichgültig sein konnte. Diese Betriebsgruppen bildeten die
wichtigste Basis der Verankerung der illegalen KPÖ innerhalb der
Arbeiterschaft. Besonders stark waren diese Betriebsgruppen
innerhalb der Deutschen Reichsbahn. Diese Gruppen konnten außerdem
die Funktion von unauffälligen Kurieren übernehmen, weshalb ihnen
im Organisationsgefüge nicht nur der illegalen KPÖ, sondern auch
von revolutionärsozialistischen Gruppen eine besondere Rolle
zukam.
Abschließend ging Garscha auf die Frage ein, wie SPÖ und KPÖ nach
1945 mit "ihrem" Widerstand umgingen. Für die SPÖ ist
eine klare Schwerpunktsetzung sowohl ihrer antifaschistischen
Gedenkveranstaltungen als auch von Artikeln und Büchern auf das
Jahr 1934 bzw. auf den Widerstand gegen den Austrofaschismus
festzustellen, unterstrich er. Die Gründe hierfür liegen seiner
Meinung nach auf der Hand: Sozialistische Widerstandsgruppen
zwischen 1938 und 1945 waren eine rare Ausnahme gewesen, während
die Revolutionären Sozialisten vor 1938 eine relevante politische
Kraft dargestellt hätten. Das Gedenken an diesen Kampf diente nicht
nur der parteiinternen Selbstvergewisserung, sondern passte auch in
die trotz Großer Koalition heftig geführten
vergangenheitspolitische Auseinandersetzung mit der ÖVP. Die KPÖ,
die seit den Tagen der Befreiung 1945 mit dem Image der
"Russenpartei" zu kämpfen hatte, bezog einen Gutteil
ihrer politischen Legitimität als Gründungspartei der Zweiten
Republik aus ihrer überragenden Rolle im Widerstandskampf und der
hohen Zahl ihrer politischen Opfer. Für die Mehrheit der
Bevölkerung der Zweiten Republik bedeutete dies eine zusätzliche
Delegitimierung des Widerstands, nicht nur des linken, und eine
Bestätigung der eigenen Rolle als Anhänger des NS-Regimes,
Mitläufer oder Abseitsstehende. Das offizielle Österreich habe
lange Jahrzehnte hindurch wenig bis nichts unternommen, um dieses
Bild zu korrigieren. Es dauerte bis 1975, bis die
Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer mit einer
Befreiungsmedaille geehrt wurden.
Veröffentlicht: 19. Januar 2005