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"Die Bodenhaftung nicht verlieren!"

Elke Kahr im Interview mit der Tageszeitung "Junge Welt"

»Es ist wichtig, nicht die Bodenhaftung zu verlieren«
Österreichische Kommunisten wurden in Graz zweitstärkste Kraft. Ein Großteil ihres Politikergehalts geht an Bedürftige. Ein Gespräch mit Elke Kahr
Elke Kahr ist Stadträtin der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) in der steirischen Landeshauptstadt Graz. Mit ihr als Spitzenkandidatin erreichte die KPÖ 20,08 Prozent

Nach Ihrem Wahlerfolg mit gut 20 Prozent wollen Sie in Graz als Vizebürgermeisterin kandidieren. Damit nehmen Sie Kritikern den Wind aus den Segeln, die bisher der KPÖ vorwarfen, sie wolle keine Gesamtverantwortung übernehmen. Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein?

Zunächst einmal war diese Kritik auch in der Vergangenheit nicht richtig – wir waren ja in den letzten 15 Jahren in der Stadtregierung vertreten und haben sehr wohl Verantwortung übernommen, ganz konkret für ein Ressort. Während der Zuständigkeit für das städtische Wohnungsamt, die Kommunalwohnungen und den Wohnungsbau haben wir für die Mieter viel erreicht – und wir sind in der Kommunalpolitik eine berechenbare Partei. Sowohl die Menschen in der Steiermark als auch die Parteien im Gemeinderat wissen, woran sie bei uns sind. In der letzten Wahlperiode gab es zum Kapitel Wohnen eine Übereinkunft mit der Österreichischen Volkspartei ÖVP und den Grünen, die bis zum letzten Tag gehalten hat. Wir haben auch keine parteipolitischen Reflexe; wenn der Antrag einer anderen Partei im Interesse der Menschen ist, dann unterstützen wir ihn. Wir sind eine konstruktive Kraft – aber keine Mehrheitsbeschaffer für eine Politik, für die wir nicht gewählt wurden.

Können Sie den Vorwurf nachvollziehen, die KPÖ habe sich bisher thematisch »die Rosinen herausgepickt«?

Das ist natürlich Unsinn. Ich glaube, daß uns das Ressort Wohnen gerade deshalb überlassen wurde, weil andere der Meinung waren, daß das eben nicht so einfach ist. Das Thema ist in Österreich insgesamt sehr brisant, aber ganz besonders in Graz. Die Stadt wächst; und die Mietwohnungspreise sind eines der größten Probleme. Für Miete, Betriebskosten, Heizung und Mehrwertsteuer müssen viele Menschen die Hälfte ihres Einkommens oder ihrer Pension ausgeben. Und diese Nebenkosten erhöhen sich jährlich. Das Land Steiermark hat außerdem die Wohnbeihilfen gekürzt. Dadurch kommen die Leute zusätzlich unter Druck. Unsere Tür steht ihnen offen – das finden Sie in anderen Ressorts und bei anderen Politikern so nicht.

Es heißt, Sie gehen diese Woche »ohne Vorbedingungen« in die Koalitionsverhandlungen. Bedeutet das, Sie sehen keinen Sinn in »roten Haltelinien«, wie sie die Linkspartei in der BRD für diesen Fall erarbeitet hat?

Das heißt es nicht. Wir haben dezidiert vor und nach der Wahl gesagt, daß wir keine fixe Koalition eingehen, denn das würde heißen, daß wir das Gesamtbudget mittragen; mit allen Konsequenzen – und das wäre ein komplett anderes Politikverständnis. Allerdings bin ich überzeugt, daß es in allen kommunalpolitischen Feldern Abkommen geben kann, die, wenn man guten Willens ist, auch fünf Jahre halten. Die Vorhaben, die wir vor der Wahl als Sofortprogramm präsentiert haben, sind machbar. Wir haben sie ja im Wissen um die angespannte Budgetsituation erhoben.

Was wir im Bereich Wohnen auf jeden Fall brauchen, ist ein Sonderwohnbauprogramm II. Wir haben in der letzten Periode 500 neue Gemeindewohnungen durchgesetzt, das braucht es aber auch in der kommenden Periode. Nötig wäre natürlich viel mehr, als machbar ist. Aber wir müssen mindestens den Anspruch auf 500 neue Wohnungen auch in dieser Periode erheben, damit sich die Lage wenigstens ein bißchen entspannt.

Gibt es ein Patentrezept für den Spagat zwischen kommunistischer Realpolitik und langfristigen Zielen?

Wir haben einen weltanschaulichen Kompaß, den haben wir immer gehabt. Aber man kann die Menschen eben nicht auf eine bessere Welt vertrösten, sondern muß täglich beweisen, daß man dort, wo man Vertrauen in Form von Mandaten bekommen hat, etwas für sie erreicht. Es ist wichtig, nicht die Bodenhaftung zu verlieren. Das heißt auch, wie mein Vorgänger Ernest Kaltenegger und ich es gehalten haben, einen Großteil des eigenen Politikergehalts an Bedürftige abzugeben, um sich nicht von den Durchschnittsgehältern zu entfernen.

(Junge Welt, 3, 12, 2012)

Veröffentlicht: 3. Dezember 2012

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