Die Presse: "KPÖ-Chance auf Einzug in den Landtag" (10. 6. 05)
10.06.2005 - Politik / Österreich
"Wir waren die Aussätzigen"
VON ERNST SITTINGER
STEIERMARK. Nun hat Kalteneggers KPÖ erstmals Mandatschance.
GRAZ. Lang ist es her: Im Frühjahr 1970 musste der bislang letzte
KPÖ-Abgeordnete den steirischen Landtag verlassen, nachdem die
schwächelnde Partei nur mehr 1,35 Prozent der Stimmen erreicht
hatte. Dreizehn Jahre später trat bei der Gemeinderatswahl in Graz
ein gewisser Ernest Kaltenegger an - mit gerade noch 174 Stimmen
Überhang schaffte er ein einziges Gemeinde-Mandat.
"Ich kann mich an Zeiten erinnern, wo wir die Partei der Aussätzigen waren", sagt Kaltenegger heute. Mittlerweile zum Serien-Wahlsieger und Grazer Wohnungsstadtrat aufgestiegen, wittert der lange als Kuriosum unterschätzte KP-Mann nun seine große Chance auf Wiedereinzug in den Landtag. Am Donnerstag veröffentlichte die "Kleine Zeitung" eine OGM-Umfrage, die der KPÖ fünf Prozent der Stimmen zuordnet - trotz großer Konkurrenz von immerhin sechs anderen wahlwerbenden Listen. Das wären zwei bis drei Landtagssitze und damit ein historischer Erfolg.
Wie erklärt sich die Renaissance der Kommunisten? An der Ideologie liegt es nicht, im Gegenteil: Die Schwäche der KPÖ und der Niedergang des Ost-Kommunismus haben seine Partei erst hinreichend "ungefährlich" gemacht, um neben einer diffusen Sehnsucht nach sozialer Wärme auch die Politikverdrossenheit bürgerlicher Kreise nützen zu können. Man habe sich "geöffnet", sagte Kaltenegger am Donnerstag, als er seine Landtagsliste mit vielen parteilosen Kandidaten präsentierte. Gerhard Dienes, früher SP-naher Leiter des Grazer Stadtmuseums, kandidiert ebenso bei der KPÖ wie der Grazer Noch-ÖH-Vorsitzende Philipp Funovits, der nicht aus dem Kommunistischen Studentenverband kommt, sondern aus der Fachschaftsliste.
Einen Gutteil des Erfolges darf der 55-Jährige auf sein persönliches Konto buchen: Er hat in Graz einen Stil der unaufgeregten Glaubwürdigkeit in die Politik gebracht, die viele Menschen anspricht. In der Wohnungspolitik setzt er auf unspektakuläre Hilfe für sozial Schwache. Den Politikerkollegen gilt er als "Neinsager", doch die Bürger verzeihen dem stets freundlichen Stadtrat fast alles. Dass er sein Gehalt großteils freihändig an "Arme" spendet, macht ihn zum König der Herzen - bei anderen würde man dies wohl als "fürstliches Spendiergehabe" anprangern. "Sozialpolitik statt Eventpolitik" lautet der KP-Slogan - gemünzt auf VP-Dissident Gerhard Hirschmann.
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Veröffentlicht: 10. Juni 2005