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"Die rote Kernschmelze"

Zeitschrift falter über die KPÖ im Bezirk Gries

Die rote Kernschmelze
In Gries, einem ehemaligen SPÖ-Kernbezirk, sind die Kommunisten stärkste Partei. Eine Erkundung
aus FALTER 49/12

Gerti Schloffer – Kurzhaarschnitt, rauchige Stimme – ist eine resolute Frau, die Klartext spricht: „Die Leute wählen uns auch aus Frust, weil ihnen sonst keiner zuhört“, sagt die KP-Gemeinderätin. Im Grazer Bezirk Gries muss der Frust groß sein, immerhin wurden die Kommunisten bei den Gemeinderatswahlen knapp vor der ÖVP stärkste Partei. Beinahe wurde Schloffer auch Bezirksvorsteherin, am Ende haben aber bei der Bezirksratswahl doch 14 Stimmen gefehlt.

Jetzt steht Schloffer auf dem Griesplatz, der eher den Charme einer Verkehrsinsel versprüht – zwei Hauptstraßen kreuzen den Platz, einen großen Teil nimmt die Haltestelle für Regionalbusse ein. Seit 15 Jahren diskutiere die Stadt über eine Neugestaltung, passiert sei nichts, schimpft Schloffer. „Das ist ein Arbeiterviertel, da muss man ja nicht so drauf schauen.“ Der Griesplatz-Pepi, der hier ein Schwulenlokal führt, will wissen, warum im Bezirk so viele kommunistisch gewählt haben. „Die Elke ist wie ein Pfarrer, die Leute kommen zu ihr und erzählen ihr die Probleme“, erklärt Schloffer. Die Rede ist von Elke Kahr, Chefin der Grazer Kommunisten, täglich empfängt sie bedürftige Grazer in ihrem Büro und hilft, wenn das Geld fehlt.

Die Kommunisten haben sich mit knapp 20 Prozent den zweiten Platz bei der Gemeinderatswahl erkämpft. Die KPÖ legte auch in den bürgerlichen Bezirken zu, aber im Arbeiter- und Migrantenbezirk Gries ist sie mit mehr als 26 Prozent stärkste Partei geworden. Auch in den Bezirken Lend, Eggenberg und Jakomini, die der SPÖ jahrzehntelang geholfen haben, den Bürgermeistersessel abzusichern, wie SP-Klubchef Karl-Heinz Herper erklärt, haben die Volkspartei und nun auch die Kommunisten die Sozis überholt.

„Gries war schon immer eine Gegend ärmerer Leute“, erzählt Joachim Hainzl. Der Sozialhistoriker hat im Graz-Museum an der Dauerausstellung mitgearbeitet, die sich auch mit der historischen Zweiteilung der Stadt beschäftigt. In den Bezirken Gries und Lend siedelte man etwa das Zucht- und Arbeitshaus oder den Schlachthof an – die wollte man in den bürgerlichen Bezirken auf der linken Murseite nicht haben. Noch Mitte des 19. Jahrhunderts schrieb ein Chronist sinngemäß: Links der Mur herrsche Bürgerlichkeit und Frohsinn, rechts der Mur Armut und Krankheit. Als die Eisenbahn gebaut wurde, siedelten sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts in Gries zudem viele Industriebetriebe und Arbeiter an. In den Arbeiterbezirken konzentrierten sich dann auch sozialdemokratische Einrichtungen wie Arbeiterkammer und Gewerkschaft. Vor 20 Jahren schaffte die SPÖ im Bezirk Gries noch 40 Prozent, am letzten Wahltag waren es nur noch 17. Auch heute leben in Gries, unweit der schicken Innenstadt, noch immer viele Menschen mit geringem Einkommen, rund 30 Prozent der Gries-Bewohner haben nicht die österreichische Staatsbürgerschaft.

Im Bezirk Gries ist es nicht schwer, abtrünnige SPÖ-Wähler zu finden. Zum Beispiel in der Triestersiedlung, dem Ausgangspunkt des kommunistischen Erfolgs. Gemeindebauten säumen die Triester Straße, eine der Hauptausfahrtsstraßen der Stadt. Der Rest von Graz fährt hier nur durch, um in die Einkaufszentren am Stadtrand zu gelangen. „Hier wohnt das Fußvolk, welcher Politiker kommt schon hierher?“, fragt Schloffer. Ein Mann um die 40 schlendert in die Siedlung zurück. Bisher habe er immer SPÖ gewählt, sagt er, „aber das ist Augenauswischerei, die reden nur“. Bei Elke Kahr sei es genau umgekehrt. Als er selber arbeitslos war und die Miete nicht mehr bezahlen konnte, haben ihm die Kommunisten ausgeholfen.

Solche Geschichten hört man oft, viele Gries-Bewohner fühlen sich mit ihren Problemen alleingelassen. Die Wahlbeteiligung im Bezirk lag unter 40 Prozent, nirgends sonst in Graz gingen so wenige Leute zur Wahl. Eine Frau um die 40, die mit ihrem Mann und vier Kindern auf 60 Quadratmetern lebt, war zum letzten Mal wählen, als die Österreicher noch mit Schilling bezahlten. Auch Elke Kahr habe ihr keine größere Gemeindewohnung besorgt. Ein älteres Ehepaar hat das Gefühl, dass in ihrem Bezirk bald mehr Ausländer als Österreicher leben. Früher haben sie SPÖ gewählt, jetzt wählen sie auf Stadtebene gar nicht mehr, bei Bundeswahlen bekommt die Strache-FPÖ ihre Stimme.

Für das, was schiefläuft, werden die Regierungsparteien verantwortlich gemacht – nicht die KPÖ. Ernest Kaltenegger, der 1998 das Wohnungsressort übernahm, hat die denkmalgeschützten Gebäude in der Triestersiedlung renoviert und Bäder einbauen lassen. Und selbst jene, die hier nicht KPÖ gewählt haben, wissen, dass die Stadträtin zwei Drittel ihres Einkommens spendet, um bedürftigen Grazern zu helfen.

Die Schlangen, die sich vor Elke Kahrs Büro bilden, ringen selbst Karl-Heinz Herper Bewunderung ab. Das SPÖ-Urgestein hat die besseren Zeiten miterlebt. „Die Bezirke Gries, Lend, Eggenberg und Jakomini – das waren unsere Kernbezirke, auf die wir unsere Wahlerfolge aufgebaut haben. Wenn der Kern schmilzt, schmelzen auch die Mandate“, sagt er. Herper sieht einen Grund im jahrelangen Zank der Genossen, allein seit der letzten Wahl hat die Grazer SPÖ sechs Vorsitzende verbraucht. „Jetzt geriert sich die KP als zweite sozialdemokratische Partei.“ Helfen, unterstützen, intervenieren – früher hätten das sozialdemokratische Funktionäre gemacht, nun haben Kommunisten diese Aufgaben übernommen „Sie sind offenbar mehr bei den Menschen.“

Eine ältere Dame, die im Bezirk Gries wohnt, bestätigt diesen Eindruck: Die neue, junge SPÖ-Stadträtin sagte der Frau, die unter Bürgermeister Stingl noch SPÖ wählte, nicht viel. Den akademischen Titel mit dem hochgestellten „in“ für Doktorin auf Martina Schröcks Plakat fand sie seltsam. Ernest Kaltenegger und Elke Kahr hingegen seien durch ihre Straße gegangen.

Wie die Gries-Bewohner mit Migrationshintergrund gewählt haben, scheint in Wahlanalysen nicht auf. Fevzi Karatas, Imam der türkischen Muslime in Gries meint, dass viele Migranten, ebenso wie gebürtige Österreicher, gar nicht gewählt haben. „Sie glauben, es ändert sich ohnehin nichts.“ Die SPÖ sei beliebt, da sie an den Freitagen zu Beratungsgesprächen gekommen sei. Vor den Wahlen habe auch Elke Kahr vorbeigeschaut. „Viele kannten sie bereits, weil sie für die Wohnungen zuständig ist.“

Weniger Besprechungen, mehr auf die Straße – so, meint Herper, solle die SPÖ die Wähler zurückgewinnen. Allerdings haben die Kommunisten einen Vorsprung. Gerti Schloffer hat schon Pläne. Der Müll an den Haltestellen muss weg. „Und am Griesplatz haben sie die neuen schiachen Standln hingebaut, aber kein Klo“, klagt sie. „Die Häuslkultur gehört doch auch zu einer Kulturhauptstadt!“ Als zweitstärkste Partei, die auch die Vizebürgermeisterin stellen will, wird nun freilich auch die KPÖ die Entwicklung von Gries mitverantworten müssen

Veröffentlicht: 6. Dezember 2012

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