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EU-Verfassung und Österreich (Ein Interview)

junge Welt vom 12.05.2005

Interview
»Das Wort Verfassungsputsch drückt bittere Wahrheit aus«
Annahme der EU-Verfassung durch das Parlament in Wien hebelt Österreichs Neutralität aus. Ein Gespräch mit Franz Stephan Parteder
Interview. Werner Pirker

* Franz Stephan Parteder ist Landesvorsitzender der KPÖ Steiermark und 1. Bezirksvorsteher-Stellvertreter im Grazer Stadtbezirk Innere Stadt.

F: Das österreichische Parlament hat an der Bevölkerung vorbei den EU-Verfassungsentwurf gebilligt. Was bedeutet das demokratiepolitisch?

Nichts Gutes. Hier zeigt sich exemplarisch die Mißachtung des Willens der Bevölkerung durch die bestimmenden Eliten. Überall dort, wo es um den Ausbau des imperialistischen Projektes Europa geht, sollen die Leute, die die Kosten dafür tragen, aus den Entscheidungsprozessen ausgeschaltet werden. Deshalb ist die öffentliche Kritik in den letzten Tagen in Österreich auch so stark geworden.

F: Worauf läuft die europäische Verfassung in ihrem Wesen hinaus?

Sie orientiert darauf, die EU ökonomisch, politisch und militärisch zu einer Supermacht zu entwickeln. Kern der Verfassung ist die Entwicklung der EU zu einer Militärunion durch Verankerung einer EU-Armee als Interventionstruppe sowie durch die Aufrüstungsverpflichtung. Aber auch die Festschreibung des neoliberalen Wirtschaftsmodells gehört dazu, verbunden mit der Liberalisierung und Deregulierung aller Bereiche.

F: Bedeutet das Vorrangsprinzip der Euro-Verfassung gegenüber der österreichischen eine Art Verfassungsputsch?

Das ist ein hartes Wort. Es drückt aber eine bittere Wahrheit aus: Ursprünglich war geplant, die EU-Verfassung ohne viel öffentliches Aufsehen einstimmig durch das Parlament zu mogeln, weil Österreich mit der Annahme der EU-Verfassung endgültig große Teile seiner Souveränität aufgibt und die versprochene Verbesserung der Mitbestimmung nur auf dem Papier bleibt. Wir nähern uns faktisch postdemokratischen Zuständen in den zentralen Politikbereichen an.

F: Wie stellt sich die Europäische Verfassung aus der Sicht eines Kommunalpolitikers dar?

Aus der Sicht der Gemeinden gibt es konkrete negative Auswirkungen. Deshalb ist es beschämend, daß der Österreichische Städtebund sich am Dienstag den offiziellen EU-Lobhudlern angeschlossen hat. Die in der Verfassung verankerte Liberalisierung der öffentlichen Dienste ist ein massiver Angriff auf elementare Bereiche der kommunalen Grundversorgung.

Die hier festgelegten Vorgaben für die Wirtschafts- und Währungsunion stellen zugleich massive Grenzen für die Budgetgestaltung der Gemeinden dar. Der Druck zur Privatisierung kommunalen Eigentums nimmt zu, Tarife und Gebühren werden steigen. Für die Gemeinden bedeutet daher die Verfassung letztlich die Legitimierung eines verstärkten Drucks auf die kommunalen Finanzen und die kommunale Grundversorgung.

F: Was bleibt von der immerwährenden Neutralität, zu der Österreich sich am 26. Oktober 1955 verpflichtet hat?

Nur mehr eine leere Hülle. Die EU-Verfassung sieht eine militärische Beistandsverpflichtung vor, die noch stärker als die der NATO ist. Mit der Neutralität, die die Teilnahme Österreichs an Kriegen und die Mitgliedschaft in Organisationen verbietet, die der Vorbereitung und Durchführung von Kriegen dienen, ist diese Verfassung völlig unvereinbar.

F: Wie beurteilen Sie das Verhalten von SPÖ und Grünen?

Als unterwürfig gegenüber den wirtschaftlichen und militärischen Eliten Kerneuropas und als heuchlerisch gegenüber der eigenen Anhängerschaft. Der Eiertanz, den die Spitzenpolitiker beider Parteien in den vergangenen Tagen aufgeführt haben, um die Forderung nach einer Volksabstimmung vom Tisch zu bekommen, würde den »Großen Preis der Wählertäuschung« verdienen. Es ist traurig, daß außer dem parteifreien EU-Abgeordneten Hans Peter Martin kein einziger österreichischer Parlamentarier der sogenannten Linken auch nur ansatzweise eine Gegenposition zu den Interessen der Banken und Konzerne aufgebaut hat. In Sonntagsreden vom sozialen Europa zu reden und im Parlament für eine Verfassung zu stimmen, die ein soziales Europa verhindern soll, ist schlicht und einfach schäbig.


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Veröffentlicht: 12. Mai 2005

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