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Goran Lovric: Offener Brief zu Absolventenstudie

Ministerium hat Chance zur Bildungsförderung verpasst

Offener Brief zum Forschungsprojekt des Ministeriums für Bildung und Wissenschaft

Sehr geehrter Herr Dr. Guggenberger,

Heute habe ich den Brief zur Absolventenstudie 2009/2010 vom Bundesrechenzentrum erhalten und wollte gerade an der Studie - aus dem Gedanken heraus, dass diese Idee nicht schlecht klingt - teilnehmen.

Jetzt wo ich die Homepage www.arufa.at besucht habe, werde ich bewusst nicht an dieser Studie teilnehmen und wende mich (nachdem Ihre E-Mail im oben genannten Brief angeführt ist) mit einer kurzen Begründung an Sie.

Ich finde es höchst befremdlich, dass ein derartiges Projekt mitunter von einer ausländischen Universität (Uni Kassel) getragen wird (die Homepage des Online-Fragebogens befindet sich sogar zur Gänze in Deutschland!). Um keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen: Ich selbst besitze eine ausländische Staatsbürgerschaft, studiere Technische Physik auf der TU Graz und reise in etwa einer Woche für einen halbjährigen Forschungsaufenthalt (Diplomarbeit) in die VR China; ich bin bin also sehr wohl für einen internationalen wissenschaftlichen Austausch und halte diesen für sinnvoll.
Bei dem von Ihnen betreuten Projekt handelt es sich jedoch (wie auf der Homepage nachzulesen) um ein vom (österreichischen) “Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (BMWF)” in Auftrag gegebenes Projekt. In Anbetracht der derzeitgen hochschulpolitischen Lage in Österreich (Sie haben sicherlich die Studentenproteste der letzten Wochen und Monate mitbekommen), in der die bundesweite finanzielle Förderung des tertiären Bildungssektors in Österreich sehr oft negativ zur Sprache kam (nicht nur von Studenten- sondern vielfach auch von Rektoren- und Professorenseite) sehe ich keineswegs ein, wieso der österreichische Staat (in diesem Fall das Bundesministerium) ein derartiges Hochschulprojekt unter anderem ins Ausland vergibt. Damit meine ich: In letzter Zeit werden kritische Stimmen aus allen Richtungen laut, dass der tertiäre Bildungssektor in Österreich kritisch unterfinanziert ist und auch strukturell in einer tiefen Krise steckt (und diese Meinung kann ich auch aus meiner jetzigen Kenntnis der Hochschullage sehr gut nachvollziehen); und das Bildungsministerium, dessen Aufgabe es sein sollte, gerade diese Missstände zu bekämpfen, vergibt ein derart wichtiges Projekt an eine einzige (!) österreichische Universität und gleichzeitig an eine Ausländische. So etwas wäre meines Erachtens eine hervorragende Gelegenheit gewesen, den heimischen universitären Wissenschaftsbetrieb zu fördern und mehrere Universitäten Österreichs dafür auszuwählen (z.B.: hätten Student(inn)en der TU Graz oder auch einer anderen Universität das Online-Portal entwickeln oder Server zur Verfügung stellen können und es gäbe auf anderen Unis genauso Fakultäten und Institute, die sich mit ähnlichen Studien befassen können) und Aufgabe der Verantwortlichen wäre es gewesen, die Politik von der Tatsache zu überzeugen, dass mehr finanzielle Mittel für österreichische Universitäten zur Verfügung gestellt werden müssen, ganz abgesehen davon, dass eine derartige bundesweite Zusammenarbeit mehrerer Universitäten ein äußerst positives Bild auf Österreichs Hochschulsektor geworfen hätte. Banal ausgedrückt hinterlässt die jetzt gewählte Vorgangsweise einen bleibenden negativen Eindruck: “Es kriselt an Österreichs Universitäten und wir steuern dem nicht etwa entgegen, nein, wir verlagern für Österreich relevante Studien einfach (teilweise) ins Ausland…”

Oder vielleicht haben Sie für die Bevölkerung bessere Erklärungsansätze?!
Offen bleibt für mich die Frage (und das ist keine Unterstellung), ob die Beauftragung einer ausländischen Universität mit einer derartigen Studie auch Fördergelder nach sich zieht, die dadurch ins Ausland abfließen, obwohl sie auf Österreichs Universitäten mehr denn je gebracht werden würden…

Hochachtungsvoll
Goran Lovric, BSc

PS: Eine Kopie dieser E-Mail ergeht auch an meine Studienkollegen und Teilnehmer der universitären Protestbewegung in Österreich, denen ich meine kritischen Gedanken nicht vorenthalten will.

28. Dezember 2009