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Magna und die Zeitarbeiter

Gespräch mit Walter Theisl (KPÖ) Falter Graz

Walter Theisl hat gewusst, dass es so kommen wür­de, schon als er im Juli dieses Jahres wieder beim Autofertiger Magna Steyr in Graz an­fing. Als Leiharbeiter muss man im­mer damit rechnen, „freigesetzt“ zu werden. Ende Juli war es dann so weit: Der BMW-Spartenleiter kündigte bei einer Versammlung an, dass die Pro­duktion des BMW X3 zurückgefahren und damit die Nachtschicht und 350 Arbeiter eingespart würden. „Von den nicht mehr benötigten Leiharbeitern hat damals keiner gesprochen, ohne sie klingt die Summe weniger dra­stisch“, sagt Theisl.

Bis Ende September baut er nun noch an jedem Arbeitstag 125 Au­tokarosserien des leichten Gelände­wagens X3 zusammen. Der Roboter schweißt die großen Teile, Theisl und seine menschlichen Kollegen sind für die feinen Schweißnähte zuständig, für die Roboter zu ungeschickt sind. Die Arbeit ist hart, Theisl muss den ganzen Tag stehen, wenn er außerhalb der Pausen aufs Klo muss, braucht er eine Ablöse. Dazu kommt die Wechsel­schicht, die eine Woche um sechs Uhr die nächste Woche um 14.15 Uhr be­ginnt. Für all das bekommt Theisl 1200 Euro netto im Monat.

Vor acht Jahren kam der heute 29-Jährige das erste Mal zu Magna, schon damals über eine Leiharbeitsfirma, kur­ze Zeit später verließ er die Firma wie­der, damals waren Probleme mit einem Vorgesetzten der Grund. Das zweite Mal wurde er als Krankenstandsver­tretung in die Fabrik geschickt, daraus wurden vier Jahre. Das war die Zeit, in der Magna ständig Leute aufnahm und die Produktion steigerte. Doch seit ver­gangenem Jahr ist Schluss damit, seither musste Theisl schon zwei Mal das Feld räumen. Stress mit dem Chef war dies­mal nicht das Problem – Magna baute Arbeiter ab. Ende September ist es wieder so weit, diesmal gibt es mit 350 Leiharbeitern und rund 250 Magna-eigenen Mitarbeitern die nächste große Freisetzungswelle, erstmals ist auch die Stammmannschaft in großem Ausmaß betroffen.

Die „atmende Fabrik“ nennen Be­triebe wie Frank Stronachs Magna Steyr diese Strategie. Der hübsche Begriff wird dem derzeitigen Aufsichtsratsvor­sitzenden von Volkswagen, Ferdinand Piëch, zugeschrieben und wird der beinharten Wirtschaftsstrategie, die da­hintersteckt, nicht ganz gerecht: Je nach Auftragslage werden Arbeiter einge­stellt oder gekündigt, auch die Arbeits­zeiten werden den Aufträgen angepasst. Österreich kommt dabei eine Vorrei­terrolle zu, wie in einer Publikation der Austrian Business Agency, dem offizi­ellen Ansiedlungsberater der Republik Österreich, der ausländische Investoren anlocken soll, stolz erwähnt wird: „Die atmende Fabrik – in vielen Ländern Europas noch Vision – ist in Österreich bereits Realität.“ Magna Steyr ist einer der größten Arbeitgeber Österreichs, wenn dieser Koloss ausatmet, hängen Schicksale daran.

Die Automobilindustrie kracht, die großen Autofirmen in Europa, USA und Japan haben Tausende Mitarbei­ter abgebaut. Auch bei Magna in Graz sind die fetten Jahre längst vorbei: 2006 rollten noch 248.000 Autos von den Bändern der Fabrik, im Vorjahr fiel die Produktion auf rund 200.000 Stück, in den nächsten beiden Jahren laufen weitere Fertigungsverträge aus, die nächste Generation des X3 wird dann überhaupt in den USA gebaut. Über neue Aufträge konnte bisher für das Jahr 2010 aber erst die Hälfte der Rekordproduktion aus 2006 gesichert werden. Damals arbeiteten noch fast 10.000 Leute bei Magna Steyr, heute sind es noch rund 7000. Von Kündi­gung spricht freilich keiner gerne. Die Leiharbeiter werden an die Verleih­firmen „zurückgestellt“ und von dort ans Arbeitsamt „übergeben“, für die Stammbelegschaft gilt das Angebot, in eine Arbeitsstiftung zu wechseln. „Frei­willig“, wie das Unternehmen betont. „Wir versuchen, mit den Mitarbeitern persönlich die beste Lösung zu finden“, sagt Magna-Sprecher Daniel Witzani.

Gleich, wie man es nennt: Rund 600 Magna-Arbeiter sind ihren Job los, bei den Zulieferfirmen im steirischen Auto­cluster werden in der nächsten Zeit wei­tere Arbeitsplätze verloren gehen – das ist Tatsache. Zeitgleich setzt sich eine Maschinerie in Gang, die diese Leute verwaltet und, allerdings nur teilweise, auffängt.

Die Leiharbeiter kommen als Erste unter die Räder. Walter Theisl kennt die Tricks der Zeitarbeitsfirmen, er wurde bereits öfter als dreißig Mal verliehen. „Viele Leihfirmen sagen den Arbeitern nicht, dass sie sich melden müssen, wenn ihr Betrieb sie freisetzt.“ Tauche der Ar­beiter bei der Leihfirma nicht auf, kön­ne diese ihn vorzeitig kündigen und erspare sich so die Kündigungsfrist. Ein anderer Trick sei es, die Arbeiter zu einer einvernehmlichen Lösung des Dienstverhältnisses zu überreden. „Die Arbeiter fallen so um rund 500 Euro um“, sagt Theisl. Er ist seit drei­einhalb Jahren Betriebsrat bei Manpower, als solcher genießt er einen erweiterten Kündigungsschutz und ist einer der wenigen, die sich trauen, of­fen zu sprechen. Manchmal komme es vor, sagt er, dass der Schichtleiter erst eine halbe Stunde vor Schichtende Be­scheid gebe: „Morgen braucht ihr nicht mehr kommen.“ Die Zukunft eines Leiharbeiters ist dann stets ungewiss, vor allem wenn man, wie Theisl, als „Helfer“ geführt wird. Dann kann man überall hingeschickt werden, Theisl ist nicht heikel: „Ich will nur nicht in die Großküche, da braucht man einen gu­ten Magen.“

Manpower-Gebietsleiterin Renate Kenzian-Choc weiß bereits seit Anfang des Jahres, dass es im Herbst einen Per­sonalabbau bei Magna geben wird, hatte also Zeit, sich vorzubereiten. Rund die Hälfte der Arbeiter, die zurückgeschickt werden, kann sie weitervermitteln. „Für den Rest könnte es sein, dass wir entwe­der nichts Passendes finden oder auch die Arbeiter selbst nicht weitervermit­telt werden wollen.“ AMS-Sprecher Hermann Gössinger hat andere Erfah­rungen gemacht: „Normalerweise lan­den neunzig Prozent der Leiharbeiter bei uns.“ Schickt Magna Leiharbeiter zurück, werden diese also von ihrer Stammfirma in der Regel gekündigt. Derzeit verfassen die Leiharbeitsfirmen Frühwarnungen an das AMS, wenn zehn Prozent ihrer Belegschaft betroffen sind. Auch Frau Kenzian-Choc hat das bereits getan, Zahlen, wie viele Arbeiter von Manpower bei Magna arbeiten, gibt sie nicht bekannt. Von der Leiharbeits­firma Trenkwalder, die das Gros der Leiharbeiter bei Magna stellen soll, war niemand zu einer Stellungnahme bereit. Gössinger sieht das Problem vor allem darin, dass Leihfirmen nicht in ihre Ar­beitskräfte investieren. „Sie könnten auch in die Stiftung einzahlen und ihre Mitarbeiter besser qualifizieren lassen.“

„Stiftlinge“ haben es da unvergleich­lich besser. Abgesehen davon, dass auch sie zunächst arbeitslos sind. Bis zu 350 Arbeiter der Magna-Stammbelegschaft haben derzeit jedenfalls die Möglich­keit, das Ende als Neuanfang zu nutzen und mit dem freiwilligen Eintritt in eine gerade gegründete Arbeitsstiftung ei­nen neuen Beruf zu lernen, die Matura nachzuholen oder einen Studiengang auf einer Fachhochschule zu belegen. Wolfgang Kickmaier ist einer von ihnen. „Ich habe schon länger mit dem Gedan­ken gespielt, mich weiterzubilden“, sagt der 37-Jährige, der vor zwölf Jahren ins Unternehmen eingestiegen ist – damals hieß es noch Steyr Daimler Puch –, weil dort höhere Löhne warteten als in sei­nem Lehrberuf als Tischler. „Familie und Abendschule unter einen Hut zu bekommen ist aber schwierig.“ Die Ar­beitsstiftung sieht er als Chance, Ver­säumtes nachzuholen. Nach einer inter­nen Informationsveranstaltung hat er sich vergangene Woche kurzfristig dazu entschlossen, demnächst in der HTL wieder die Schulbank zu drücken, statt wie bisher Kabelstränge, Stahlrahmen, Instrumente und Verkleidungen zum Cockpit für den Jeep Grand Cherokee zusammenzubauen. Mit dem Arbeits­losengeld und dem kleinen Zusatzsti­pendium, das Magna bezahlt, wird er auf rund siebzig Prozent seines letzten Lohns kommen.

65 Interessenten haben sich bereits für die Stiftung gemeldet, die schon seit Monaten in Vorbereitung ist. „Wir ver­handeln mit der Unternehmensführung seit Herbst 2007“, sagt der Vorsitzende des Magna-Arbeiterbetriebsrats Tho­mas Stoimaier, „weil man sich wegen der Entwicklung der Industrie gewisse Sachen ausrechnen kann.“ Auch Poli­tik und AMS waren vom Stellenabbau nicht überrascht, die Landesregierung fasste bereits Anfang November einen Grundsatzbeschluss, Magna Förde­rungen in der Höhe von 7,5 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen – für Pro­duktionsumstellungen, für Forschung und Entwicklung und eine Arbeitsstif­tung. Von den 2,1 Millionen, die zu­sätzlich zum Arbeitslosengeld für die Beratungs- und Qualifizierungsmaß­nahmen der Stiftung nötig sind, kommt mit 1,1 Millionen der Großteil von Ma­gna selbst, Land Steiermark und AMS steuern größere Beträge bei. Brigitte Zuenelli hat in den zwanzig Jahren, in denen sie für das Land Steiermark mit dem Thema befasst ist, vorwiegend gute Erfahrungen gemacht, ein bis zwei Stif­tungen hat sie jedes Jahr zu betreuen. „Stiftungen sind ein teures, aber sehr effektives Instrument“, sagt sie. „Und Magna ist es sehr wichtig, dass die Leute nicht einfach nur einen blauen Brief in die Hand bekommen.“ Sollten sich ge­nug Arbeiter freiwillig melden, wird es dazu auch nicht kommen müssen. Und wenn doch nicht? „Dann rechne ich da­mit, dass uns eine Kündigungsliste vor­gelegt wird“, sagt Betriebsrat Stoimaier.

Denn nicht jeder kann sich eine ein­einhalbjährige Facharbeiterausbildung und den damit verbundenen Gehalts­verzicht leisten, weiß Sabine Willegger. Sie pilgert derzeit ein- bis zweimal die Woche zu Magna, sei es um der konsti­tuierenden Sitzung des Stiftungsrates beizuwohnen oder die Servicetage zu organisieren. Willegger ist die vom Arbeitsmarktservice für Magna und weitere Betriebe des Autoclusters ab­gestellte Key-Account-Managerin und hält ständig engen Kontakt zur Firma. Vor fünf Jahren tourte sie noch mit Ver­tretern von Magna durchs Land und veranstaltete Jobbörsen auf der Suche nach Arbeitskräften. Diese Zeiten sind vorbei. Bereits Ende vergangenen Jah­res, als im Autocluster, großteils bei Ma­gna, auf einen Schlag 650 Leiharbeiter nicht mehr benötigt wurden, richteten Willegger und ihre Kollegen eine Art AMS-Außenstelle bei Magna Steyr ein. „Wir sind zu sechst den ganzen Tag dort gesessen und haben den Leuten gehol­fen, ihre Arbeitslosenanträge auszufül­len, und sie beraten.“ Servicetage nennt sich diese AMS-Aktion, die diese Wo­che nun schon zum zweiten Mal bei Ma­gna anläuft, denn auch jene Leute, die in die Stiftung gehen, werden arbeitslos gemeldet. „Es hängt global alles zusam­men“, sagt Frau Willegger, das hat sie beim Autocluster gelernt: „Wenn der Dollarkurs schlecht ist, spart die Mut­terfirma ein, und am anderen Ende der Kette muss Magna Arbeiter entlassen.“

Das sieht man auch bei Magna so. „Der Kostendruck ist zurzeit so hoch, dass wir keinen Mitarbeiter zu viel beschäftigen können“, sagt Magna-Sprecher Dani­el Witzani. „Vor zehn Jahren wäre es noch möglich gewesen, zwei Jahre mit schlechterer Auftragslage durchzutau­chen. Aber die Zeiten ändern sich.“ Die gestiegenen Rohstoffpreise, der Ölpreis, die schwache Nachfrage und die starke Konkurrenz unter den sechs großen eu­ropäischen Auftragsfertigern – da bleibt kaum Luft. Das hat auch die Konkur­renz der Grazer Autobauer zuletzt er­fahren müssen. Die finnische Valmet Automotive musste vergangenes Jahr ein Viertel der Belegschaft in Uusikau­punki entlassen – nachdem ihr Magna den Auftrag zur Fertigung des Porsche Boxter und des Cayman abgejagt hatte. Und das deutsche Traditionsunterneh­men Karmann schlitterte in die Krise, weil die Entwicklungs- und Produkti­onsaufträge ausblieben. Nicht zuletzt auch, weil Magna die Deutschen bei der Ausschreibung des Colorado, des Ge­ländewagens der BMW-Tochter Mini, ausbootete.

Karmann hat in den letzten Jahren bereits rund tausend Mitarbeiter in Os­nabrück „ausgeatmet“ und in eine ei­gens gegründete „Transfergesellschaft“ überführt, 800 weitere folgen bis näch­sten März. Fast neunzig Prozent der Belegschaft hätten dieses „individuelle Rundum-Sorglospaket“ freiwillig an­genommen, berichtet der Unterneh­menssprecher. Die von einem Münch­ner Beratungsunternehmen betreute Gesellschaft stellt die Arbeiter für die Dauer von einem Jahr weiter an und bemüht sich um deren Qualifizierung und Vermittlung. Die „atmende Fabrik“ sei eben ein „Teil der Branchenphiloso­phie“, sagt der Firmensprecher. „Auf­tragsfertiger leben davon, dass sie die Beschäftigungssituation schneller und extremer anpassen können als OEMs (Original Equipment Manufacturer, also große Originalhersteller wie Chrys­ler oder BMW; Anm.).“

Dass diese Strategie in Graz be­sonders effizient gelebt wird, zeigt sich schon daran, dass Ma­gna der einzige große Autofertiger in Europa ist, der in den letzten Monaten überhaupt an Aufträge gekommen ist. „Diese Aufträge gibt es nicht in Hülle und Fülle. Da herrscht intensiver Wett­bewerb“, sagt auch Magna-Sprecher Witzani. Und die „atmende Fabrik“ sei neben der besonders flexiblen Werks­konstruktion auch „ein wesentlicher Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Graz“. Auf den Magna auch künftig setze – neben den großen neuen Wachstumsmärkten wie China, Indien und Russland. „Der Markt ist im Umbruch“, weiß Gerd Holzschlag, Interimsgeschäftsführer des steirischen Autoclusters. In Europa werde der Schwerpunkt künftig auf Forschung und Entwicklung liegen sowie auf „intelli­genten Produktionen“. Das habe auch Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. „Anlernkräfte und niedrig qualifizierte Arbeiter werden zusehends unter Druck kommen. Andererseits ist der Bedarf im High-End-Bereich immer schwieriger zu decken.“ Sowohl Karmann als auch Magna suchen derzeit trotz des Perso­nalabbaus jeweils 250 Ingenieure für den Entwicklungsbereich.

Wenn also die Flaute überstanden ist, frühestens im Herbst 2009, das wissen Arbeitsmarktservice und Leihfirmen längst, braucht Magna wieder Personal. Dann oder spätestens 2010, wenn die Produktion der britischen Nobelmarke Aston Martin oder des Peugeot Coupé 308 anläuft, atmet Magna wieder ein. Sabine Willegger vom AMS hält es für wahrscheinlich, dass einige dann bes­ser qualifizierte Stiftlinge 2010 wieder zu Magna zurückkehren können. Bald werden sich auch die Leiharbeitsfirmen wieder auf die Suche machen. „Wir su­chen ständig passende Mitarbeiter für unseren großen Kundenkreis“, erklärt Manpower-Gebietsleiterin Kenzian-Choc. „Wenn große Industriebetriebe wie beispielsweise Magna hundert Personen suchen, haben wir im Hin­tergrund bereits 300 potenzielle Kan­didaten getestet, um hundert passende Dienstnehmer überlassen zu können.“

Walter Theisl glaubt nicht, dass er bald wieder zu Magna zurückkehren wird, weil diesmal auch viele Fixe gehen müssen, die bei Bedarf zuerst zurück­geholt würden. Aber Theisl ist flexibel, er sagt, er hat nichts gegen eine kleine Abwechslung. Außerdem kandidiert er noch auf der Nationalratsliste für die KPÖ, auf welchem Platz hat er aller­dings vergessen. Nach seinem letzten Tag bei Magna wird der Betriebsrat, wenn es sich ausgeht, erst einmal eine Woche Urlaub nehmen und ein wenig durchatmen.

(Falter Graz, 3.9. 08)

Veröffentlicht: 2. September 2008

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