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Nachbarschaftskonflikte sind keine Spezialität des Gemeindebaus

Stadträtin Kahr im Falter über Stadtteilarbeit und Wohnungspolitik

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Kürzlich haben Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) und Wohnungsstadträtin Elke Kahr (KPÖ) das „Nachbarschaftsservice Graz“ vorgestellt, eine Anlaufstelle für alle, die Ärger mit Nachbarn haben. Das Angebot des städtischen Friedensbüros umfasst eine Hotline, Mediation und rechtliche Infos. Langsam entstehen auch in Graz immer mehr Angebote für Konfliktvermittlung und vorbeugende Grätzelarbeit, wie sie in Wien teils seit Jahrzehnten existieren. Allein diese Woche steigen mehrere Siedlungsfeste anlässlich des Tags der Nachbarschaft am 28. Mai. Am Bedarf mangelt es nicht.

In der Starhemberg-Siedlung in Eggenberg stehen Grüppchen von Kindern und Jugendlichen auf dem Spielplatz – oder dem, was einmal einer war. Seit drei, vier Jahren gibt es nämlich bis auf ein einziges Klettergerät nichts mehr. Ein leeres Stahlseil zeugt davon, dass hier einmal eine Seilrutsche über den Platz führte. Angeblich wurde alles in kurzer Zeit kaputtgemacht und daher nicht mehr ersetzt.

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Elke Kahr, als Wohnungsstadträtin auch für diese Siedlung zuständig, erklärt: In den letzten 15 Jahren habe hier ein starker Wechsel der Bewohner stattgefunden. Weil es viele große Wohnungen gibt, werden eben Großfamilien einquartiert. Und Großfamilien sind heute unter Migranten viel häufiger – so kommt es zu dem Empfinden, das die Sozialpädagogin und Gemeinwesenarbeiterin Petra Lex so oft hört: „Von uns Eingeborenen ist eh niemand mehr über.“ Jetzt leben hier 480 Menschen aus 15 Ländern, von denen 210 jünger als 25 sind.

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Seit Jahren mit Nachbarschaftsstreitereien die Tür eingerannt bekommt auch Stadträtin Elke Kahr, die für die Gemeindewohnungen zuständig ist. Der KPÖ-Chefin ist eines ganz wichtig: dass Konflikte keine Gemeindebau-Spezialität sind. „Streitereien kommen bei Einfamilienhaus-Bewohnern genauso vor, wo es oft nur darum geht, dass ein Baum über den Zaun hängt.“ Speziell bei kommunalen Wohnungen sieht sie die Ursachen für Streitigkeiten bei Jobverlust und Geldsorgen – wenn dann auch noch zu Hause ständiger Lärm oder Beschimpfungen dazukommen, gehe oft einfach das Häferl über.

Das Thema „Inländer gegen Ausländer“ erreicht auch Kahr immer wieder, zumal vor fünf Jahren die Gemeindewohnungen auch für Nicht-EU-Bürger geöffnet wurden. Die Grazer KPÖ-Frontfrau hört etwa in der Triestersiedlung im Gries über das Wohnen hier stets: „Passt eh, aber: Ihr weist jetzt schon viele Ausländer zu.“ Dann erklärt Kahr, wie es statistisch ausschaut: „Pro Jahr gehen im Schnitt elf Prozent der kommunalen Wohnungen an Nicht-EU-Bürger.“ Freilich: Gezählt wird hier nach den Wohnungswerbern, nicht nach der Zahl der Personen, die einziehen. Dazu kommen noch sechs Prozent Flüchtlinge und ebenso viele EU-Bürger, und die rechnen viele Bewohner ebenso zu den „Ausländern“ wie Eingebürgerte. Wenn Kahr nachfragt: „Gibt’s denn ein Problem mit den Ausländern?“, heißt es meist: „Nein, aber es gibt halt bei uns auch so viele Leute, die eine Wohnung bräuchten.“ Offenbar löst mehr ein diffuses Gefühl der Fremdheit das Unbehagen aus. „Die Öffnung der Kommunalwohnungen war insofern problematisch, als die Stadt es vorher jahrelang verabsäumt hat, neue zu bauen“, sagt Kahr. „Dadurch ist die Wartezeit für alle länger geworden.“ Bis Ende 2013 sollen aber 500 neue Wohnungen entstehen.

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Zusätzlich zur Mediation braucht es in Graz aber noch viel mehr grätzelbezogene präventive Arbeit, meint Kahr, die außerdem bedauert, dass es nur mehr wenige Hausmeister als Integrationsfiguren gibt. In der Triestersiedlung immerhin gibt es bereits ein Stadtteilzentrum: Dort können Bewohner sich bei Problemen mit Behörden beraten und bei Reparaturen helfen lassen – oder einfach nur zum Tratschen kommen. Am Grünanger wiederum bewirtschaften die Bewohner einen Gemeinschaftsgarten.

Viele Konflikte werden allerdings nach wie vor „gebaut“, so Kahr: In einer städtischen Siedlung am Schönaugürtel sei die Stimmung jetzt schon sehr angespannt, weil zu viele Leute mit zu wenig Platz auskommen müssen. Kahr habe versucht, einen Teil des angrenzenden Grundstücks dazuzubekommen, das den Stadtwerken gehört habe. Doch die verkauften es an einen Bauträger. Und nun wird gleich hinter dem Zaun die nächste Siedlung mit 150 Wohnungen hochgezogen: „In maximaler Bebauungsdichte.“

(Quelle: Falter, 25.5. 2011)

26. Mai 2011