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"Nur belehrt von der Wirklichkeit können wir die Wirklichkeit ändern"

Stellungnahme von Stadträtin Kahr in der Grazer Budgetdebatte

Stadträtin Elke Kahr
„Nur belehrt von der Wirklichkeit können wir die Wirklichkeit ändern“
Diskussionsbeitrag in der Budgetdebatte des Grazer Gemeinderates, 14. 12. 09

In einem seiner Dramen formulierte der Schriftsteller Bertolt Brecht: „Nur belehrt von der Wirklichkeit können wir die Wirklichkeit ändern“.

In diesen Tagen lehrt uns diese Wirklichkeit, dass wir gerade auf kommunaler Ebene, also dort wo wir den Menschen am nächsten sind, alles dafür tun müssen, dass soziale Gerechtigkeit und Solidarität in unserer Stadt nicht eingeschränkt sondern ausgeweitet werden. Denn die Bewältigung des täglichen Lebens wird für immer mehr Menschen in unserer Stadt zu einer großen Herausforderung.
Bedingt durch die Wirtschafts- und Finanzkrise, gibt es viele Studien, Armutsberichte und Statistiken, die diese Entwicklung belegen.

Ich lese diese Berichte, aber ich benötige sie nicht, um zu begreifen und zu verstehen, was es an Veränderung in unserer Gesellschaft braucht, um für alle ein besseres Leben zu ermöglichen.
Eigene Erfahrungen machen
Ich sehe täglich durch meine Arbeit - und das seit vielen Jahren, in welch unzumutbaren Umständen Leute leben müssen. Die Geschäfte, die mit der Wohnungsnot gemacht werden. Wie immer mehr Kinder und Jugendliche von Haus aus keine Chance auf ein besseres Leben vorfinden. Was der Verlust der Arbeit bedeutet, keinen Sinn im Leben zu sehen und anfallende Schulden nicht mehr bewältigen können. Ich sehe durch diese Arbeit täglich, was Gewalt, Trennung und plötzlich schwere Erkrankungen im Leben bewirken können, dass Alkohol-, Sucht- und psychische Erkrankungen zunehmen. Und ich sehe vor allem, dass eine immer größer werdende Anzahl an Menschen mit ihren Gehältern, Löhnen und Pensionen die steigenden Lebens- und Wohnungskosten nicht mehr bewältigen.
Gebühren- und Tarifstopp

Gerade die Kosten beim Wohnen sind in den letzten Jahren rapid angestiegen. In diesem Jahr ist die Schere zwischen Inflationsrate und der Steigerung der Wohnungskosten noch weiter auseinander gegangen. So sind die Mieten im Jahresabstand mit 5,5 % gestiegen, bei der Instandhaltung von Wohnungen um 4,3 %, dazu kommen die Erhöhungen bei Strom um 5 %, Gas um 8 % sowie die Kostenerhöhungen bei den Versicherungen, die um 3,3 % teurer geworden sind. Aber auch die Gebührenerhöhungen bei Müll und Kanal wirken sich auf die Wohnkosten aus. Als Wohnungsstadträtin sehe ich es deshalb als meine Verpflichtung an, darauf zu drängen, dass die Stadt Graz in den nächsten Jahren keine weiteren Gebühren- und Tariferhöhungen vornimmt, um ihre Bevölkerung nicht noch mehr zu belasten.
Wohnbeihilfe: Unverständnis bei Pensionisten
Auch bei der Wohnbeihilfe des Landes muss etwas entgegengesteuert werden. Und zwar in der Form, dass es zu einer Valorisierung der Wohnbeihilfe kommt: Entweder mittels Wertanpassung der tatsächlich ausbezahlten Wohnbeihilfe oder über eine Anhebung der jeweiligen Jahresnettoeinkommen in der Wohnbeihilfentabelle. Immer öfter drücken Pensionisten ihr vollkommenes Unverständnis darüber aus, dass die Erhöhung ihrer oft ohnehin niedrigen Pensionen um 20,- oder 30,-- Euro, gleichzeitig bewirkt, dass sie im selben Ausmaß oder oft noch mehr Abzug von der Wohnbeihilfe erhalten. Das heißt, letztendlich nicht etwas mehr sondern unterm Strich weniger Geld für sie im Monat verbleibt.

Ein weiteres Problem stellen die zu hohen Einstiegskosten beim Wohnen dar. Kaution oder Baukostenbeitrag, 1 Miete und Mietvertragsvergebührung, oft auch noch eine Ablöse oder Maklergebühr. Alles zusammen einfach für viele eine unüberbrückbare Hürde. Deshalb würde ein Kautionsfond, welcher bei der Stadt angesiedelt ist, in Form einer Haftungsgarantie hier für viele Wohnungssuchende eine große Hilfe sein. Diesem Modell könnten auch karitative Einrichtungen, die schon jetzt Zuzahlungen zu Kautionen leisten, beitreten.
Hohe Einstiegskosten fürs Wohnen

Die einzige Chance für immer mehr Wohnungssuchende auf gesicherten und leistbaren Wohnraum bieten deshalb unsere Gemeindewohnungen. Sie sind eine der wichtigsten sozialpolitischen Errungenschaften und Säulen unserer Stadt. Die Nettomieten in den stadteigenen Gemeindewohnungen wurden in den letzten Jahren nicht erhöht. Und durch den Mietenzuschuss den wir am städtischen Wohnungsamt angesiedelt haben, muss auch kein Mieter und keine Mieterin in unseren Übertragungsbauten mehr als 1/3 des Einkommens für Miete, Betriebskosten und Heizung bezahlen.

Diese Vorteile verbunden mit der Anhebung der Standards in unseren Gemeindewohnungen haben dazu beigetragen, dass die Zahl der Ansuchenden in den letzten 10 Jahren stark gestiegen ist. Waren es Ende 2000 noch 671 Ansuchende, so werden es mit Ende diesen Jahres knapp 1900 Ansuchende sein.
Das Bekenntnis von ÖVP und Grünen, sich für den Erhalt unserer städtischen Gemeindewohnungen im öffentlichen Eigentum auszusprechen und dem gemeinsamen Ziel in dieser GR-Periode für 500 neue Gemeindewohnungen Grundstücke sicherzustellen, haben uns bewogen, dem Kapitel Wohnen im Koalitionspapier beizutreten.
Ich hoffe, vor allem im Interesse der zahlreichen Wohnungssuchenden, das dieses Vertrauen gerechtfertigt ist.
Kommunaler Wohnbau anders: Ein Vorzeigeprojekt

Bisher haben wir Grundstücke für 371 Wohneinheiten sichergestellt. Davon sind 165 Wohneinheiten in Planung und könnte im Herbst 2010 der Baubeginn erfolgen. Die anderen Projekte befinden sich in Vorplanung bzw. sind Förderzusagen des Landes ausständig.
Und gerade weil diese Zusagen ausständig sind, bin ich alarmiert darüber, dass sich SPÖ und ÖVP auf Landesebene darauf geeinigt haben, die Ausgaben für die Wohnbauförderung im kommenden Jahr um insgesamt 5 Millionen Euro zu kürzen!!!

Bei unseren Vorhaben in der Stadt möchte ich besonders ein Projekt hervorheben. Mit dem Arbeitstitel „Kommunaler Wohnbau anders“, versuchen wir neue ambitionierte Wege zu gehen. Auf Basis einer in Auftrag gegebenen Studie wird im Bezirk Lend in der Zeillergasse mit der Realisierung eines neuen Wohnbauprojektes begonnen. Besonderheiten bilden vor allem: Die Errichtung eines Quartierparks. Das Angebot an Gemeinschaftsräumen. Serviceeinrichtungen im Erdgeschoss inkl. Organisationskonzept (Tagesmüttereinheit, betreutes Wohnen, Schlechtwetterspielraum) Passivhausstandard, Photovoltaikanlage und ein Mobilitätspaket mit Carsharing. Ob dieses Vorhaben gelingt, hängt nicht zuletzt von der Zustimmung des Landes ab.
Betreuung und Siedlungszentrum

Einen wichtigen Schwerpunkt im kommenden Jahr sehen wir in der Siedlungsbetreuung in städtischen Wohnhausanlagen. Da die im Regierungsübereinkommen festgeschriebene Siedlungsbetreuung noch immer nicht realisiert worden ist, wird das städtische Wohnungsamt selber Mittel in die Hand nehmen, um bei komplexeren Problemen, Hilfe in Form von Mediatorinnen anbieten zu können.
Ein neues Projekt wurde schon im Herbst dieses Jahres aufbereitet. Es geht um den Aufbau eines Siedlungszentrums in der Triestersiedlung. Die Eröffnung und Inbetriebnahme wird im Frühjahr 2010 erfolgen.
Eine groß angelegte Mieter- und Mieterinnenumfrage wird es im kommenden Jahr bei unseren städtischen Wohnhäusern geben und wir werden unsere Antragsformulare und Briefe, so wie bereits unsere Hausordnung, in die wichtigsten 8 Sprachen übersetzen. Einen weiteren wichtigen Schritt sehen wir in der Einbegleitung von Menschen mit migrantischem Hintergrund beim Wohnungseinzug. Diese soll in Kooperation mit dem Verein Omega und dem Integrationsreferat erfolgen. Hier reagieren wir auf mehrfachen Wunsch unserer AltmieterInnen.

Sanierungsoffensive geht weiter

Am Grünanger werden wir im kommenden Jahr mit der Sanierung unseres Wasserleitungsnetzes fertig, sodass ab 2011 die frei werdenden Mittel wieder ausschließlich in die Sanierung unserer Holzbaracken fließen können.
Der größte Arbeitsaufwand und Mitteleinsatz wird auch im kommenden Jahr wieder der Sanierung unserer städtischen Wohnhäuser gelten. Trotz geringerem Budget werden wir bei unseren umfassenden Sanierungen wieder einen großen Schritt weiterkommen.
Im kommenden Jahr werden dies 2 Häuser in der Triesterstraße sein und jeweils ein Wohnhaus auf der Tändelwiese, in der Vorbeckgasse, Schmölzergasse, Kindermanngasse und am Eggenbergergürtel / Friedhofgasse.
Bei zahlreichen Wohnhäusern wird es zu § 18 Sanierungen kommen, Fensteraustausch bzw. Wärmedämmung an den Außenfassaden. Liftanbauten in der Monsbergergasse bzw. bei den umfassenden Sanierungen. Sanierung von Außenanlagen, Spielplätzen und Privatstraßensanierungen.
Neben unserem Nasszelleneinbauprogramm bei aufrechten Mietverhältnissen haben wir seit letztem Jahr auch ein eigenes Heizungseinbauprogramm in leeren und bewohnten Wohnraum. Diese gut angenommenen Programme werden auch im kommenden Jahr im selben Ausmaß aufrecht erhalten.

Wohnungsamt trägt zum sozialen Antlitz der Stadt bei

Die Wohnqualität für unsere AltmieterInnen und unsere neuen MieterInnen deutlich zu verbessern, ist das erklärte Ziel von mir und meinen MitarbeiterInnen am städtischen Wohnungsamt. Bei diesem Vorhaben sind wir bisher weit gekommen. Auch BezieherInnen von kleinen Einkommen haben ein Recht auf gutes und schönes Wohnen. Ich bin immer wieder sehr stolz darauf, dass wir trotz schwieriger finanzieller Rahmenbedingungen, so viel für unsere BewohnerInnen leisten.
Damit trägt das städtische Wohnungsamt mit allen MitarbeiterInnen, in der Hausverwaltung und Technischen Abteilung, im Wohnungs-
Zuweisungsreferat, in der Schlichtungsstelle oder in der Wohnungsinformationsstelle wesentlich zum sozialen Antlitz unserer Stadt Graz bei. Sie bieten jeden Tag kompetente Hilfe, Service und kostenlose Beratung an. Tausende von Menschen werden gut und kompetent durch unsere MitarbeiterInnen beraten. Genau das gilt auch für meine Mitarbeiterinnen im Stadtratsbüro. Wir pflegen einen Stil nicht abgehoben und abgeschottet von den Menschen zu arbeiten, sondern wir sind ein offenes Büro. Jeder und jede muss angehört werden und mag das Problem noch so klein sein.
Abschließend möchte ich mich bei allen städtischen Bediensteten für die gute Zusammenarbeit bedanken. Vor allem aber bei den engagierten Sozialarbeiterinnen im Sozial- und Jugendamt. Bedanken möchte ich mich selbstverständlich auch bei allen Mitgliedern des Wohnungsvergabeausschusses und seinem Obmann GR Spath für die konstruktive und gute Zusammenarbeit.
Mein besonderer Dank gilt jedoch allen meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im städtischen Wohnungsamt insbesondere Herrn Abteilungsvorstand Dr. Norbert Wisiak, dessen besonnene, umsichtige und hohe fachliche Kompetenz, nicht nur für mich, sondern vor allem für das Wohnungsamt und den städtischen Magistrat eine große Bereicherung darstellt.
Bedanken möchte ich mich aber auch bei der Finanzdirektion und Kollegen Stadtrat Rüsch, wo bei Gesprächen nicht immer übereinstimmend, jedoch in einer sachlichen Atmosphäre, ein nicht einfacher, aber ein Weg für das Budget des städtischen Wohnungsamtes für das kommende Jahr gefunden wurde.

Ganz zum Schluss noch ein offenes Wort:

In den letzten 16 Jahren habe ich hier im Gemeinderat viele Budgetentwürfe von SPÖ und ÖVP Finanzreferenten miterlebt.
In diesen Jahren gab es auch Zeiten wo das Geld von einigen Stadtpolitikern sehr großzügig für Prestigeprojekte ausgegeben wurde.
Trotzdem hat sich die KPÖ in all den Jahren, den Schwierigkeiten und Sorgen die bei knapper werdenden Budgets entstehen niemals verschlossen und die Notwendigkeit auch immer betont, sparsam mit den vorhandenen Mitteln umzugehen.
In den ganzen 16 Jahren gab es aber für mich keine so folgenschwere Entscheidung, wie sie heute getroffen werden soll. Hinter der harmlos klingenden Neuordnung des Hauses Graz verbirgt sich das größte Ausgliederungsvorhaben der letzten 50 Jahre. Das entspricht genau der Strategie der Neoliberalen europaweit, die auf das Auslöschen der kommunalen Ebene abzielt. Kommunales Eigentum, mit der Arbeit von Generationen geschaffen, wird aus der Hand gegeben.
Wir haben vor diesem Schritt gewarnt und wir werden ihm nicht zustimmen.

Diese Haltung ist kein Justamentstandpunkt, sondern einzig und allein von der Sorge um die Entwicklung unserer Stadt getragen.

Veröffentlicht: 14. Dezember 2009

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