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"Politik mit sozialer Handschrift"

Stadträtin Elke Kahr im G7-Interview

Ich spüre keine Häme"

KPÖ-Stadträtin Elke Kahr über die Schwäche der Grazer SPÖ, Almosen als Sozialpolitik, den 1. Mai und Titos "beeindruckendes Jugoslawien".

KPÖ-Stadträtin Elke Kahr wehrt sich gegen den Vorwurf, keine nachhaltige Sozialpolitik zu betreiben

Frau Stadträtin, heute erwarten Beobachter ein "1.-Mai-Duell" der Grazer SPÖ gegen die KPÖ. Werden Sie heute - dank der Unterstützung durch die Plattform minus 25 - mehr Anhänger mobilisieren können?

ELKE KAHR: Vielleicht schon. In den letzten Tagen haben sich viele Leute bei uns gemeldet.

Welche Bedeutung hat der 1. Mai denn überhaupt noch?

KAHR: Er macht darauf aufmerksam, welche sozialen und demokratischen Rechte sich die Menschen erkämpft haben. Aber mit dem Werteverlust in der Politik der SPÖ hat er an Bedeutung und Anziehungskraft verloren.

Reiben Sie sich ob der schwächelnden Grazer SPÖ die Hände?

KAHR: Da spüre ich keine Häme, es macht mich fast betroffen. Es ist schlimm, dass Arbeiter keine politische Heimat mehr haben. Die Grünen können das nicht leisten, die ÖVP sowieso nicht.

Aber die FPÖ holt sich die einst rote Arbeiterschaft erfolgreich.

KAHR: Nur mit Hetze, ohne Lösungen. Man sollte die Arbeiter nicht der FPÖ überlassen.

Die KPÖ setzt auch auf Feindbilder. Nur sind es bei Ihnen nicht Ausländer, sondern Banken.

KAHR: Da geht es nicht um Feindbilder, sondern um wichtige Umverteilungsthemen. Man kann nicht den Schwachen und der Masse der Kleinverdiener immer mehr Belastungen aufbürden und Managern Gagen zahlen, die weit über dem liegen, was ihnen zusteht. Wir müssen die Besteuerung großer Vermögen angehen. Es braucht auch neue Einnahmen im Land über eine Nahverkehrsabgabe oder eine entsprechende Besteuerung des Glücksspiels.

Mehr Staat, weniger privat, Umverteilung, amtliche Preisregelung sind einige KP-Schlagworte. Wie stehen Sie denn zu den gestürzten sozialistischen Oststaaten?

KAHR: Die KPÖ gibt es seit 1918 und sie hat sich nichts vorzuwerfen, ist immer gegen Krieg und für den Frieden eingetreten. Wenn überhaupt, hat sie manches in den sozialistischen Staaten zu wenig kritisch hinterfragt.

Dass das Irrwege waren, kommt Ihnen aber nicht über die Lippen?

KAHR: Ich halte den Marxismus für die menschlichste Antwort. Was Parteien im Osten daraus gemacht haben, war natürlich etwas anderes. Aber man kann nicht sagen, dass alles negativ war, also etwa Errungenschaften für die Arbeiterschaft. Das Modell Jugoslawien unter Tito mit kostenlosem Gesundheitsnetz und Bildung für alle, das den Vielvölkerstaat zusammengehalten hat, hat mich beeindruckt. Noch heute hat Tito für die Menschen dort einen hohen Stellenwert.

Man findet auch hierzulande Menschen, die sagen "damals" war bei uns nicht alles schlecht ...

KAHR: Das kann man jetzt aber wirklich nicht vergleichen.

Zurück nach Graz: Die KP hatte unter Ernest Kaltenegger 2003 in Graz 20 Prozent der Stimmen. Seit 2008 liegt sie stabil bei zehn Prozent. Ist noch einmal mehr drin?

KAHR: Ich hoffe, da ist noch Luft nach oben. Wird ab 2013 die Stadtregierung von neun auf sieben Mitglieder verkleinert, brauchen wir 12 oder 13 Prozent, um den Regierungssitz zu halten.

KPÖ-Mandatare lassen Teile ihrer Gagen Sozialfällen zukommen, Sie helfen als Wohnungs- und Sozialombudsfrau vielen Menschen. Politische Gegner meinen, diese Art von Almosen sei keine nachhaltige Sozialpolitik.

KAHR: Wir machen in Graz als einzige Partei Politik mit sozialer Handschrift. Dazu gehört auch, als Stadträtin nicht zu repräsentieren, sondern für die Menschen da zu sein, zu helfen.

Kritik gibt es auch daran, dass die KPÖ seit 1998 das Wohnressort verantwortet, aber kaum neue Gemeindewohnungen errichtet hat.

KAHR: Da kann ich mich nur wundern. Es hat sich in den letzten Jahren nur die KPÖ um leistbares Wohnen gekümmert. 1998 waren zwei Drittel der Gemeindewohnungen Substandard, wir haben diese aufwendig saniert. Allein in den letzten drei Jahren sind da 20 Millionen Euro investiert worden. Dass seit 2003, als wir auch das Wohn bauressort übernommen haben, nur 80 bis 100 neue Wohnungen entstanden sind, liegt daran, dass SPÖ und ÖVP seit Jahren keine Grundstücke mehr gesichert hatten. Aufgrund unserer Beharrlichkeit hat die Stadt nun Grundstücke für 500 neue Wohnungen. Die Hälfte davon ist bis 2013 fertig.

Wie lange sind die Wartelisten für Gemeindewohnungen?

KAHR: 1610 Grazer stehen auf der Liste, die in letzter Zeit um ein Drittel länger geworden ist. Die Wartezeit beträgt zwischen sieben Monate und zwei Jahre.

Welche Erfolge nehmen Sie noch für sich in Anspruch?

KAHR: Es wird im Herbst endlich das städtische Kompetenzzentrum für Wohnen als Service-Zentrale für alle Angelegenheiten rund ums Wohnen auf dem Schillerplatz eröffnet. Wir finanzieren eine Mietzinszuzahlung, damit Menschen nicht mehr als ein Drittel ihres Einkommens fürs Wohnen zahlen müssen. Und wir führen im Juni den Kautionsfonds ein. Hier bekommen Menschen, die sich Wohnungen wegen der Kaution nicht leisten können, einmalig 500 Euro.

Gibt es da ein Sonderbudget?

KAHR: Nein, wir nehmen das von unserem Sparbuch im Ressort, weil wir in guten Jahren Reserven anlegen und nicht wie andere Stadtregierer dann teure Hochglanzbroschüren herausgeben.

(Stadtzeitung G 7, 1. Mai 2011)

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Veröffentlicht: 2. Mai 2011

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