Trotz Nagl-Ausritt: Kühlen Kopf bewahren!
Stellungnahme zur von Bürgermeister Nagl losgetretenen Türkei-Debatte
Zur Debatte um die Wortwahl von Bürgermeister Nagl im Zusammenhang mit der Türkei stellt die KPÖ-Graz fest:
1.: Bürgermeister Nagl hat sich aus für uns unerfindlichen
Gründen um einen Auftritt im ORF-Steiermark zur Frage des
EU-Beitritts der Türkei gedrängt. Diese Frage wird zur Zeit
intensiv diskutiert, es gibt unterschiedliche Haltungen dazu (siehe
SPÖ-Vorsitzender Gusenbauer). Der Grazer Bürgermeister hat aber
unverantwortlich gehandelt, als er in diesem Zusammenhang Begriffe
wie Bollwerk oder Türkenbelagerung in den Mund genommen hat.
Hier sollte er sich einmal darüber kundig machen, wie man im
vergangenen Jahrhundert die längst vergangenen Kriege zwischen den
Reichen der Habsburger und der osmanischen Sultane für extrem
reaktionäre und rassistische Zwecke instrumentalisiert hat. Mit
einer ähnlichen Berechtigung könnte man auch sagen, dass Graz ein
Bollwerk gegen die Franzosen oder gegen die Ungarn gewesen
wäre.
Die steirische Landeshauptstadt Graz hat viele Probleme, die mit
der EU zusammenhängen – nicht zuletzt finanzielle. In diesem
Kontext ist Bürgermeister Nagl sehr leise oder betet die üblichen
Phrasen der EU-Befürworter nach.
2.: Wenn es Bürgermeister Nagl wirklich um eine Grundsatzdebatte
über die EU und über Probleme ihrer Erweiterung gegangen wäre,
hätte er die Gelegenheit gehabt, im April dem Antrag der KPÖ für
eine österreichische Volksabstimmung über die EU-Verfassung zu
einer Mehrheit im Gemeinderat zu verhelfen. Das hat er nicht
getan.
Die KPÖ-Graz lehnt die in der Steiermark von Nagl losgetretene
Debatte insbesondere auch wegen ihrer chauvinistischen und
rassistischen Konnotationen strikt ab. Die EU ist ein Elitenprojekt
zur Wahrung der Interessen von transnationalen Konzernen und
ökonomisch mächtigen Einrichtungen, die EU ist ein aggressives
Weltmachtprojekt. Dieses Projekt – das in den
Volksabstimmungen in Frankreich und in den Niederlanden eine
schwere Schlappe erlitten hat - entspricht weder den Interessen der
Menschen in der Türkei noch den Interessen und Haltungen der
Menschen in Österreich, unabhängig davon, ob sie oder ihre
Vorfahren aus der Türkei, aus Österreich oder sonst einem Land in
Europa kommen. Vorrang hat für uns das Engagement für ein
souveränes, neutrales, solidarisches und weltoffenes Österreich.
Wir sind solidarisch mit allen Menschen in der Türkei, die sich für
die Durchsetzung von demokratischen und sozialen Rechten
einsetzen.
3.: Wir appellieren an alle politischen Kräfte in Graz, jetzt
kühlen Kopf zu bewahren und sich daran zu erinnern, welche Werte
das Ansehen unserer Stadt in den letzten Jahrzehnten vermehrt
haben.
Der KPÖ-Gemeinderatsklub wird am Montag über notwendige Schritte
beraten.
Im Auftrag: Franz Stephan Parteder
Rückfragehinweis: Tel.: 0316 872 2151
Veröffentlicht: 1. Juli 2005